Sascha`s Rezension zu Emma Glass Debütroman, Peach.
Es gibt Bücher, die überzeugen mit einer spannenden, traurigen, fantastischen, liebevollen oder dramatischen Erzählung. Andere Bücher beeindrucken durch einen sprachgewaltigen Stil, sie zeigen auf, was alles mit Sprache möglich ist. Und dann gibt es Werke, die zeigen, dass Literatur nicht nur Geschichten erzählen kann, sondern zugleich auch Kunst ist. Emma Glass Debütroman Peach erzählt nicht nur eine schockierende Geschichte, die in ihrer Explizitheit stellenweise an Lize Spit erinnert, sie erschafft vielmehr eine Sprachwelt in der das Unaussprechliche seine Wörter findet.
Genau das ist die Kunst, die die großen Dichter und Literaten erfolgreich und berühmt hat werden lassen. Es ist die Fertigkeit das auszudrücken, was andere nicht verbalisieren können. Es ist die Fähigkeit Empfindungen, die jenseits der Vermittelbarkeit der meisten Menschen liegen, Ausdruck zu verleihen. So wird das Unkommunizierbare kommunizierbar, das vermeintlich Allerpersönlichste teilbar. Die Einsamkeit des „Niemand kann mich verstehen“ wird zum gemeinsam Erfahrbarem. Das individuelle wie kollektive Tabu wird aufgebrochen, so dass man plötzlich darüber sprechen kann. Und worüber man reden kann, das kann man auch verändern.
Man ahnt es natürlich schon, in Peach ist etwas Schreckliches passiert. Und da Emma Glass Debüt lediglich 125 Seiten umfasst, verliert sie auch keine Zeit und konfrontiert die Leser*innen sofort mit dem Trauma der Vergewaltigung. Wir werden unvermittelt in den Abgrund gezogen. Die Teenagerin Peach wurde gerade vergewaltigt und befindet sich, psychisch wie physisch schwer verletzt, auf dem Nachhauseweg. Dabei ist es keinesfalls ein Beitrag zur #metoo Debatte. Denn Emma Glass hat fast 10 Jahre von den ersten Sätzen bis zum fertigen Roman gebraucht. Und während man sich zunehmend erschüttert durch die Seiten liest, entsteht gleichzeitig Verwirrung. Denn der Roman entwickelt eine Surrealität, die einerseits Distanz zum Geschehen schafft und andererseits aber zum Deuten des Gelesenen zwingt. Denn Peach ist tatsächlich ein Peach, ein Pfirsich.
Emma Glass verlegt die Romanwelt in das Reich der Phantasie, in das Reich des Unbewussten. Peach’s Freund ist ein Baum, der Vergewaltiger eine Wurst, ein Lehrer ist ein Pudding. Sind es Metaphern, Allegorien, Wortspiele, freie Assoziation, Lautmalereien? Auch wenn die Gefahr besteht Peach schnell durch- und wegzulesen, aufgrund der Kürze des Debüts, so sollte man sich immer wieder ermahnen und zurücklehnen. Sich Zeit nehmen. Peach ist keine Pendler- oder Bettlektüre. Wer den Roman einfach nur der Geschichte wegen liest, wird vermutlich enttäuscht werden. Denn räumt man die außergewöhnliche Sprache und die Fantastereien beiseite, bleibt eine, vielleicht nicht gewöhnliche aber doch gut bekannte, Geschichte übrig. Peach ist aber nicht nur der Inhalt, Peach ist vor allem die Form.
Luzide, halluzinierend, verstörend, betörend, gewalttätig, gewaltig, sprachgewaltig und dabei durchgängig assoziativ. Die Leser*innen werden gezwungen zu interpretieren, Sprachbilder zu deuten, Empfindungen nachzuempfinden, Emma Glass Spiel mit Sprache als Choreografie des Tanzes mit dem Teufel zu entdecken. Aufdecken, was die oft poetische Sprache im ersten Moment verschleiert. Hinabsteigen in die Abgründe des menschlichen Seins. Den Schmerz fühlen und aushalten, um zu verstehen.
Wiederholungen, Alliteration, Lautmalereien, Sprache die Sprachbilder durchbricht, sprachschöpfende Verweigerung des Gewöhnlichen. Und hier ist auch unbedingt die großartige Übersetzungsleistung von Sabine Kray zu nennen:
„Silbergeister schweben schweigend. Tanzen, sachte. Gesichter schüchtern schweigend gen Boden. Leichte Wellen, stille sanfte Schnörkel. Ausgestanzt vom grünen Glimmen der grimmigen Apparate: silberne Silhouetten. Glimmend schwimmen sie wie Silberfischchen in öligen Fluten. Schüchtern schweigend. Unaufdringlich wachend. Sie sehen alles. Segeln sanft durch das Zimmer. Sehen mich sitzen, stöhnen, weinen. Stille Spender von Trost. Sanfte Nähe.“
Für mich eines der bedeutendsten Bücher 2018 und definitiv mit dem Cover des Jahres.
Mehr Informationen inklusive Leseprobe gibt es bei Edition Nautilus.