Schicksalsdrama

Die Ahnfrau besprochen von Janina am 23. Dezember 2017.

Bewertung: 4 Sterne

Franz Grillparzer, österreichischer Dichter des 19. Jahrhunderts, legte mit „Die Ahnfrau“ sein erstes Drama vor, ein sogenanntes Schicksalsdrama. Was heisst das nun: „Schicksalsdrama“?

Im Grunde ist das einfach zu verstehen. Der Kuchen verbrennt. Egal, wie sorgsam Sie den Ofen eingestellt haben, egal, wie sehr Sie ihr Backwerk bewachen, der Kuchen verbrennt. Und sollten Sie ihn triumphierend, weil vorausschauend, rechtzeitig aus dem Ofen genommen haben, dann geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Ihre Küche in Flammen auf. Der Kuchen kann seinem Schicksal nicht entkommen und alles, und jeder, das oder der seinen Weg kreuzt, gerät in Gefahr.

In diesem Falle ist der Kuchen das Geschlecht der Borotins. Durch ein Vergehen der titelgebenden Ahnfrau verflucht, leben die Nachkommen sozusagen auf ihr Ende hin, die Auslöschung. Denn erst, wenn der letzte Borotin gegangen ist, ist der Ahnfrau die letzte Ruhe vergönnt. Bis dahin ist allerdings mit reichlich Verwicklungen zu rechnen.

Erfreulicherweise hält Grillparzer sich an die drei aristotelischen Einheiten, betreffend Handlung, Zeit und Ort. Die Handlung ist geschlossen, hat Anfang, Mitte und Ende und ist nicht als Fortsetzungsgeschichte geplant. Die Zeit ist überschaubar, in diesem Falle eine Nacht, und der Ort ist gleichbleibend, die Burg der Borotins mit angeschlossener Kapelle. Selbst das Personal ist nicht sonderlich zahlreich, als da wären Graf Borotin, seine Tochter Berta, ihre heimliche Liebe Jaromir, dessen Vater Boleslav, der Kastellan Günther, ein Hauptmann nebst Soldat und natürlich die Ahnfrau.

In der Burghalle sitzen Vater und Tochter bei trautem Gespräche zusammen. Der Graf erläutert seiner Tochter (und somit eigentlich dem Publikum, die Tochter dürfte das Ganze schon hunderte Male gehört haben) die Familiengeschichte mitsamt Vergehen der Ahnfrau und Verlust des eigenen Sohnes, der im Alter von drei Jahren spurlos verschwand und vermutlich im nahen Weiher ertrank. Zwischendurch verläßt Berta kurz den Raum, was der Ahnfrau ein kleines, gruseliges Zwischenspiel ermöglicht, sieht sie Berta doch zum Verwechseln ähnlich. Wer es bis jetzt noch nicht erkannt hat, die Dame ist ein Geist und wandelt des Nachts durch die Gänge.

Wenig später klopft der von Räubern verfolgte Jaromir ans Tor und wird sogleich als gewünschter Schwiegersohn dem Grafen ans Herz gelegt. Der hat nichts dagegen und wenn wir nicht in einem Drama wären, könnte nun alles ein wunderbares Ende nehmen. Nimmt es aber nicht. Erst gehen wir noch auf Räuberjagd, spielen ein wenig „Vater, wechsle Dich“ und zum Schluß sind erwartungsgemäß alle Borotins dahin und das Hausgespenst geht zur letzten Ruh‘.

Was heute der Thriller ist, war damals das Drama. Eine spannende Geschichte, ein wenig Blut und/oder Gemetzel, eine hübsche Blonde, ein etwas angestoßener Held, Action, Kämpfe, Schwerter und für das gruselige Gefühl gerne auch ein paar Geister, falls gerade vorhanden, das lockte die Menschen ins Theater. Und zu recht. Denn was sich als Text bisweilen etwas amüsant liest, entfaltet auf der Theaterbühne, entsprechende Schauspieler vorausgesetzt, seine ganz eigene Kraft. Und ist auch heute noch packend. Denn in der Erfindung von überraschenden Wendungen, Finten und falsch gelegten Fährten waren viele Dramatiker Meister. Und die oben erwähnten Einheiten machen den Stoff sehr dicht. Alles passiert sehr zeitnah, sehr gleichzeitig und jeder Faden muss im Stück noch aufgerollt werden.

Wenn man bedenkt, dass dieses Stück ein Erstling ist, dann zeigt sich hier schon Grillparzers Gespür fürs Theatralische. Und, ich muss es gestehen, obwohl es sich um ein Trauerspiel handelt, hatte ich doch meinen Spass daran zu sehen, wie die Handlung vorangetrieben wird, sich zuspitzt und wie nah dem Ende noch ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird. Es mag bessere Dramen geben, aber lesenswert ist dieses in jedem Falle auch. Und sollte ich tatsächlich eine Aufführung in erreichbarer Nähe entdecken, würde ich nicht zögern, diese zu besuchen.

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