Ob das für mich zum jetzigen Zeitpunkt die richtige Lektüre ist? Ein neuer Schlink, der ganz rührend daher kommt. Ganz zentral geht es um das Verlassensein und die Einsamkeit einer zarten Seele. Natürlich steckt eine Liebesgeschichte dahinter: Olga liebt den Nachbarssohn Herbert, aber die reichen Gutsherren, Herberts Eltern, lehnen das arme Waisenmädchen aus dem Dorf ab. Sehr klassische Konstellation. Auch der Zeit, zu der das Ganze spielt angemessen (oder wäre das heute noch so?), weicht Herbert dem Druck von allen Seiten einfach mal aus und flüchtet. Zunächst in den Kolonialkrieg nach Afrika. Danach wird er waghalsig und macht eine Expedition in die Arktis. Von der wird er nie zurückkehren.
Olga dagegen wirkt wie eine starke fortschrittliche Frau, die sich Ende des 19. Jahrhunderts ihre Ausbildung als Lehrerin hart erkämpft. Für mich ist es recht ambivalent, wie Olga nach außen selbstbestimmt auftritt, aber emotional vor allem eins atmet: Sehnsucht. Ihre Liebe zu Herbert bleibt zwar unerfüllt, aber sie hält ihr ganzes Leben daran fest. Ist das eine starke Frau? Bleibt die Figur da schlüssig? Vor allem bleibt sie eine Schlinkfigur.
Olga fasst im dritten Teil des Romans ihre Gefühle in romatische, poetische Worte und schreibt ihrem Geliebten Liebesbriefe ins eisig kalte Norwegen, die ihn nicht erreichen. Jetzt spielt Schlink die Gefühle hoch aus: Liebe, Wut, Hoffen, Angst. Bis zu diesem dritten Teil hakte bei mir die Lektüre der „Olga“ immer wieder. Zu sachlich und mit zu vielen Details aus der Zeitgeschichte, aus dem Kriegsgeschehen, in dem Herbert kämpft und von den Orten, die er bereist.
Was bei mir auch nicht gut aufstieß, ist die Idee des „Großen“. Der Verlag sagt selbst, die Frage, die Olga sich in Bezug auf ihren Geliebten und auf die Deutschen stellt ist: „Warum denken die Deutschen zu groß? Wieder und wieder?“ Genau das führt in die Misere. In den zweiten Weltkrieg und das Scheitern einer Eroberung der Arktis. Total failure.
Eigentlich ist es ja unfair, den Autor an seinem Erfolgsroman aus 1995 zu messen, aber bei der Vorgabe, fällt es schwer, nicht zu sagen: Diese „Olga“ ist etwas blass. Und im Figurenensemble gibt es auch keine Alternative zur Titelfigur, an die man sich halten möchte. Das fehlt.
Und doch treffen mich viele schöne Worte ins Herz: „Ich halte Dich nicht fest. Ich weiß, dass Du aufbrechen musst. Ich vermisse Dich nur.“
Auf einmal ist der Roman genau jetzt meine perfekte Lektüre.
„Olga“ ist kein neuer „Vorleser“, aber welcher Schlink-Fan wird diesen Roman nicht ganz schnell lesen wollen? Aber achtet darauf, in welcher Stimmung ihr seid. Dieser Roman braucht etwas Ruhe, um die sachlichen Kapitel zu schaffen und beim Höhepunkt des dritten Teils anzukommen.
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