Kann man sich etwas Perfekteres vorstellen als unser Alphabet? Was zeichnet es gegenüber so genannten Bilderschriftzeichen aus, welche zu den meisten frühen Kulturen gehören? Letztere sind dazu verdammt, mit dem Wortschatz uferlos anzuschwellen, während eine „Lautbezeichnung“ schlank und rank bleibt! Dann sind da die Zahlen, deren heutiger Gebrauch einschließlich der Null und des Stellenwertes jeder Ziffer den Römern noch Neuland waren. Sie hatten Schwierigkeiten damit, schriftlich zu multiplizieren, was vermutlich die Manövrierbarkeit ihrer Armeen beeinträchtigte und zum Zerfall des Reiches beitrug. Deutlich weiter zurück, nämlich mindestens bis zur Zeit der Griechen, führt die Entstehungsgeschichte der gerade mal 20-30 Buchstaben europäischer, aber auch weiterer Sprachen. Was für die Römer das große Einmaleins war, war für China die Energien verschlingende Bilderschrift: Hätten diverse Dynastien bis zum Großen Vorsitzenden Mao beizeiten über eine verbindliche Buchstabentabelle verfügt, wäre man offensiver mit dem Rest der Welt umgegangen. Lange Mauern zu bauen, Opium zu rauchen und drauflos zu marschieren, ist auf die Dauer unbefriedigend. Bewaffnet mit einem knackigen Alphabet, stünden sie irgendwann vor den Toren Roms und katapultierten Flugblätter in die Stadt mit der Aufforderung „Kommt mit erhobenen Händen aus Euren Häusern, Smart Phones sind abzugeben, Solarzellen werden ausgetauscht, wo ist Signor Draghi?“. Damit so etwas nicht doch noch geschieht, gehen wir jetzt gemeinsam auf den Wortfriedhof und legen einen Kranz nieder am Grabmal des unbekannten Umlautes – und all die längst verblichenen Begriffe dürfen, nach ABC sortiert, für ein paar Stunden unter uns weilen!
- Veröffentlicht am Dienstag 3. Oktober 2017 von Windsor Verlag
- ISBN: 9781627843348
- 180 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik