Der Traum vom neuen Menschen oder Die Sowjetzivilisation

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In seinem großangelegten Werk zur Sowjetzivilisation untersucht Sinjawskij die Geburt des Traums vom neuen Menschen und verfolgt ihn bis zu seiner vermeintlichen Realisation, die – so sein Fazit – schon früh in eine tragische Farce mündete.

Die Betrachtung setzt ein bei dem Ereignis, das durch seine ‚titanische, alles umwälzende und alles umwandelnde‘ Natur Rußland und die Welt erschütterte, der russischen Revolution. Sinjawskij interessieren die für Rußland charakeristischen Elemente der Revolution, so ihre Wurzeln im russischen Atheismus, bei dem es sich letztlich um ein ‚Suchen nach Gott handelt, um ein Suchen nach Religion, selbst wenn dabei sowohl Gott als auch die Religion negiert werden‘.

Wurden noch unmittelbar nach der Revolution die Künstler des linken Flügels, zusammen mit den unteren Bevölkerungsschichten, von einer utopischen Vision vorangetrieben – Sinjawskij spricht von dem ‚futuristisch revolutionär-utopischen Pathos (.), dem Drang, aus der Ästhetik ins Leben, auf die Straße auszubrechen und dort mit der Revolution zu verschmelzen‘ –, sp gerieten sie bald in eine Epoche der Sprachlosigkeit oder opferten ihre Kunst ganz dem politischen Zweck.

Den Staatsapparat, den Lenin schon kurz nach der Oktoberrevolution etablierte, nennt Sinjawskij einen ‚Gelehrtenstaat‘: einige wenige Spezialisten beherrschen die Massen; aus dem Klassenunterschied wird das starre Gegeneinander von Regierenden und Regierten – die Unfreiheit als Preis der Gleichheit: die Sowjetzivilisation war geboren.

Sinjawskij zeichnet die Entwicklung eines Staates, der unter Stalin in eine Periode paranoider Schreckensherrschaft geriet: er wurde zum ‚Kirchenstaat‘, mit einem gottgleichen Führer an der Spitze. Er analysiert den soziologischen Typus, den dieser Staat zwingend hervorgebracht hat – einen Typus, den kein Individuum ganz verkörpert, der aber auf irgendeine Weise jedes Mitglied der sowjetischen Gesellschaft prägt. Faszinierend ist dabei Sinjawskijs Vorgehensweise: Chronologisch und stringent berichtet er von der Entstehung der Sowjetzivilisation, zugleich aber zieht er die russische Literatur heran und zeigt in brillanten Analysen, wie sich Ideologie – politische Utopie und politische Realität – in ihr widerspiegelten. Anhand der Werke von Blok, Majakowskij, Pasernak, Chlebnikow, Babel, Pilnjak. Mandelstam, Bulgakow, aber auch zeitgenössischer Schriftsteller wie Fasil Iskander, entwirft er ein spannungsreiches, differenziert beobachtetes Bild der siebzigjährigen Sowjetzivilisation.