Für manche Menschen ist die Welt besonders bunt: Sie sehen Buchstaben farbig, die doch nur schwarz auf weiß vor ihnen stehen, oder erleben Musik in Formen und Strukturen, die sich mit Melodie und Klangfarbe vor ihrem inneren Auge verändern. Bekannt ist dieses Phänomen namens „Synästhesie“ schon lange, aber richtig erforscht wird es erst, seit man mit modernen Techniken die Abläufe im Gehirn verfolgen kann.
Die Autoren gehören zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich damit beschäftigen. Sie erklären, was Synästhesie ist und was die Forschung bisher darüber herausgefunden hat; daraus entwickeln sie eine neue Vorstellung von Bewusstsein und Identität. Wie ein Leben mit verknüpften Sinnen aussehen kann, erfährt der Leser in sehr persönlichen Texten von Betroffenen.Eine Betroffene berichtet:
Ich empfinde jede Zahl, jeden Wochentag und jeden Monat als „Charaktere“ in mir. Sie wirken auf mich in unterschiedlicher und in unabänderlicher Weise, der ich mich nicht entziehen kann. Sie sind aktiv, ich reagiere nur.
Der tiefrote Januar umfängt mich mit wunderbarer Wärme. In ihm fühle ich mich geborgen. Ich kann mich mit meinem ganzen Empfinden in ihn hinein schmiegen. Ich weiß, dass es absurd klingt. Aber wenn ich die Augen schließe und das Wort „Januar“ denke, werde ich ruhiger.
Ganz und gar abstoßend dagegen sind die braune 6, der braune Donnerstag und der braune Mai. Donnerstag, der 6. Mai 66 … Es wäre das unangenehmste Datum gewesen, das es überhaupt jemals hätte geben können. Der Wochentag war damals allerdings ein goldgelber Sonntag.
Mir fällt auf, dass ich kein inneres Blau besitze. Warum habe ich diese Farbe nicht verinnerlicht, obwohl ich sie in Wirklichkeit gern mag? Das Blaugrau der 2 und 8, der Wochentage Montag und Mittwoch sowie der Monate September und November ist mehr grau als blau. Alle Träger dieser Farbe sind angenehm und zurückhaltend.
- Veröffentlicht am Montag 1. März 2004 von Hirzel, S., Verlag
- ISBN: 9783777613031
- 152 Seiten
- Genre: Natur, Naturwissenschaft, Sachbücher, Technik