Edom und die Edomiter

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Dieses Buch, in der Originalausgabe erschienen 1888 bei S. Selden/Halifax, beschäftigt sich mit der Geschichte des alttestamentlichen Volkes der Edomiter. Der kabbalistisch oder okkultistisch geschulte Leser sollte in diesem Fall jedoch nicht erwarten, hier auf eigenwillige oder originelle Entschlüsselungsversuche biblischer Texte zu stoßen und vielleicht gar Aufschluss über die esoterische Bedeutung der finsteren Könige von Edom, ihre numerologische Decodierung, ihre magische Symbolik etc. zu erhalten. Dies alles muss den Forschungen kritischerer Geister vorbehalten bleiben, denn Mary Witten war eine fromme Christin, die sich z.B. der bei den Kirchenvätern und Apologeten sehr beliebten Praxis der Umdeutung prophetischer Schriften des Alten Testaments bedient.
So ausdrucksstark ihre Sprache gelegentlich sein mag, z.B. wenn sie mit erstaunlicher Fantasie biblische Begebenheiten im Geiste weiterspinnt, so oft erweisen sich ihre Kommentare auch als unreflektiert und in bewährter Tradition, z.B. kriegerische Auseinandersetzungen von erbärmlichster Brutalität in den Rahmen eines „schöpferischen Plans“ einzuordnen und damit zu relativieren sucht. Genau in diesem Punkt jedoch liegt auch die theologische Absicht des vorliegenden Buches. Vordergründig versucht es, alles aus der Bibel zusammenzutragen, was mit den Nachkommen Esaus (Edoms) in Zusammenhang steht; sein verstecktes Anliegen jedoch scheint es mir zu sein, am Beispiel eines „nicht erwählten“ Volkes kosmisches, sprich göttliches oder universelles Wirken – aus christlicher Sicht – zu erklären und transparenter zu machen. Die Wege sind offen, das Ziel steht fest. So gesehen ist Mary Wittens Werk auch ein Traktat über die christliche Bewertung menschlicher Entscheidungsfreiheit.
Dem bibelunkundigen Leser liefert es überdies jenes ABC, das er benötigt, um weitergehende und individuellere Forschungen zur Symbolik Edoms und der Edomiter überhaupt erst auf einer festen Grundlage betreiben zu können: Den biblischen Urtext nämlich, der erstmals in einen erzählerischen Gesamtzusammenhang gestellt wurde.