Lebensfäden

Zehn autobiographische Versuche

von

Ekkehart Krippendorff, 1934 geboren, emeritierter Professor der Freien Universität Berlin, darf von sich behaupten, der erste ausschließlich politikwissenschaftliche Student und Promovend in Deutschland zu sein. Er hat als kleiner Junge noch die letzten Kriegsjahre miterlebt, war 1960 bis 1963 als Fulbright-Stipendiat Augenzeuge der Aufbruchsjahre in den USA und wurde Mitbegründer der deutschen Friedensforschung. Mit seinem Rauswurf aus der FU 1965 begann die deutsche Studentenbewegung, zu deren Sprechern er 1968 gehörte. In den Siebzigerjahren lehrte er in Italien und erlebte dort das „rote Bologna“. Wissenschaftlich beeinflusste er über die Universität hinaus soziale Protestbewegungen mit seiner historisch-systematischen staatskritischen Monographie „Staat und Krieg“, die den programmatischen Untertitel trägt: „Die historische Logik politischer Unvernunft“; es folgten zahlreiche Publikationen zur Kritik des Militärs und der Außenpolitik. Später entdeckte er die Literatur für eine herrschaftskritische Politikwissenschaft – zwei Monographien über Shakespeare – und seit Jahren schreibt er Theaterkritiken. Krippendorff hat bei Goethe einen Hinweis gefunden, der ihn dazu ermutigte, sein Leben exemplarisch zu entflechten, Fäden thematisch herauszuziehen und als Erzählungen mitzuteilen – für diesen eine Geste größter Höflichkeit. „Das Gewebe unseres Lebens und Wirkens bildet sich aus gar verschiedenen Fäden, indem sich Notwendiges und Zufälliges, Willkürliches und Rein-Gewolltes, jedes von der verschiedensten Art und oft nicht zu unterscheiden, durcheinanderschränkt.“ (Dichtung und Wahrheit). Was Ekkehart Krippendorff selbst bei seinem Rückgang in die eigene Geschichte entdeckte oder erinnerte, schien ihm nicht zuletzt auch zeitgeschichtlich mitteilenswert. Es sind daraus zehn in sich geschlossene und zugleich „durcheinandergeschränkte“ Autobiographien, eben „Lebensfäden“, geworden: Krieg, Theater, Universitäten, Nazismus, Amerika, Juden, Italien, DDR, Musik, Religion – und ein historischer Epilog, der die bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgbare Familiengeschichte als Mikro-Spiegel deutscher Geschichte lesbar macht.