Das Merkbuch

Eine Vatergeschichte

von

Der Vater, Jahrgang 1893, kleiner Angestellter bei einer großen Wirtschaftsprüfungsfirma, dokumentiert zwischen 1951 und 1973 sein Arbeitsleben in einer Serie von Notizkalendern. Zunächst bleibt rätselhaft, wozu er sie braucht: Um seinen Vorgesetzten jederzeit Auskunft über seine Arbeitsorte und -zeiten geben zu können? Um seine Einnahmen und Ausgaben unter Kontrolle zu halten? Oder gar, um sich des Aufschwungs zu vergewissern, den die junge Bundesrepublik unverkennbar nimmt?
Und dann wirken sich die Merkbücher des Vaters auch noch als Vorbilder in seiner Familie aus. Mutter und Sohn beginnen ebenfalls, in Notizkalendern ihren Alltag aufzuschreiben, sogar ausführlicher als der Vater. Das Büchlein funktioniert als eine Art Tagebuch vor dem Tagebuch, als Literatur vor der Literatur.
Michael Rutschky rekonstruiert anhand der Notizen einer Familie deren Leben in der frühen Bundesrepublik. Doch er liefert mehr: Die Notizen über Zugabfahrtszeiten, Wocheneinkäufe und Klassenarbeiten ergeben nach und nach nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern, im Zusammenhang betrachtet, eine eindrucksvolle und anrührende Frühgeschichte der Bundesrepublik.