Eine historisch gewachsene Stadt war und ist einem ständigen Wandel unterworfen. In jeder Epoche entstanden städtische Siedlungen, wurden erweitert oder erlitten Zerstörungen. Feuersbrünste oder Kriegshandlungen ließen Älteres vergehen und gaben zu neuer Bautätigkeit Anlass. Langsamer wirkten die Erfordernisse der technischen und sozialen Entwicklung sowie der stilistischen Einflüsse. So entstanden die europäischen Stadtbilder, jedes voller Geschichte und von individueller Gestalt. Hannover gehört zu den Städten, in denen zwar keine weltberühmten Bauwerke entstanden, aber ein Stadtbild von bedeutender historischer Tiefe aufweisen konnten.
Mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges brach die kontinuierliche Entwicklung nicht nur in Hannover jäh ab. Hatte sich die Stadt schon durch die Industrialisierung und durch ihr immenses Wachstum seit 1850 stark verändert, so hatte sich im Kern doch ein Großteil des historischen Erbes bis 1943 bewahrt. Die Bomben des Zweiten Weltkrieges zerstörten die historische Innenstadt fast vollständig.
Die heutige Landeshauptstadt Hannover verdankt ihren Ursprung einem alten Leineübergang. Im 10. Jahrhundert führte die Gelegenheit einer Flussüberquerung zur Entstehung einer Siedlung. Um 950 bildete sich zwischen dem späteren Leineschloss und der Ägidienkirche eine Marktsiedlung. In der Nachbarschaft entstanden weitere Siedlungskerne, so im Bereich eines herrschaftlichen Hofes (Bereich Burgstraße) und im Umfeld des Alten Marktes. Gegen 1150 wurde der Ort „Hanovere“ in den „Miracula Sancti Bernwardi“ („Die Wunder des Heiligen Bernward“, Bischof von Hildesheim, amt. 993-1022) erwähnt. Zu dieser Zeit war die Aufsiedlung der Altstadt weitgehend abgeschlossen. Die Bedeutung des Ortsnamens spiegelt sich noch heute in dem Straßennamen „Am Hohen Ufer“, obwohl diese Straßenbezeichnung erst seit 1912 besteht. Die Siedlungen lagen an einem hochwasserfreien Uferstreifen der Leine. Zur Befestigung waren Wälle mit Palisaden und Gräben angelegt worden. Die Vorgängerbauten der Ägidien- und Marktkirche gehen bereits auf das 12. Jahrhundert zurück.
Nach der 1189 erfolgten Zerstörung im Kampf König Heinrichs VI. gegen Heinrich den Löwen konnte das nun als „civitas“ (Stadtsiedlung) genannte Hannover zügig wiederaufgebaut werden. Nachdem die Grafen von Roden durch Heinrich den Löwen die Lehenshoheit über Hannover erhalten hatten, ließen sie westlich der Leine eine Burg errichteten. Diese wurde erstmals 1215 als Burg Lauenrode erwähnt. Neben der Burg entstand eine erste Siedlung, die spätere Neustadt.
Hannover erhielt 1241 von Herzog Otto dem Kind (reg. 1204-52) die Stadtrechte verliehen. Ein Ratskollegium existierte schon früher. So ist der Vorgängerbau des Alten Rathauses um 1230 zu datieren. Das 13. und 14. Jahrhundert war die Zeit des Stadtausbaus. Am Stadtgrundriss wurden dagegen kaum noch Veränderungen vorgenommen. Er zeigt das typische Straßennetz einer im 12. Jahrhundert geformten Stadt. Innerhalb einer annähernd ovalen Umrissfigur verlaufen mehrere Parallelstraßen, die vor den Haupttoren (Stein- und Ägidientor) zusammengeführt werden. Eine Querverbindung führt vom Leineübergang über das Leinetor zum Markt.
Die Baunachrichten für die massive, turmbewehrte Stadtmauer erstrecken sich von der Errichtung des Steintores (1266) bis zur Fertigstellung des erhalten gebliebenen Beginenturms im Jahr 1357. Während des Lüneburger Erbfolgekrieges konnten die Bürger Hannovers 1371 die Burg Lauenrode erstürmen und damit den Einfluss der Landesherrschaft zurückdrängen. In das 14. Jahrhundert fallen auch die Neubauten der drei Hauptkirchen (Marktkirche, St. Ägidien, Kreuzkirche).
Die überwiegende Zahl der Wohngebäude bestand im Spätmittelalter aus Fachwerk. Vermögende Kaufmannsfamilien, deren Grundstücke am Markt und in den Hauptraßen zu finden waren, konnten Steinhäuser finanzieren. Diese wurden in den Jahrzehnten um 1500 in Backstein errichtet. Die Giebelfronten waren an den Fassaden des Rathauses orientiert. Im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts kamen reich gestaltete Natursteinfassaden zur Geltung. Ihre Gliederungen und Giebelabschlüsse wurden in der Formensprache der Renaissance ausgebildet. Diese Häuser waren häufig mit Ausluchten versehen und ähnelten den Bauten der Weserrenaissance, wie sie noch heute in Hameln zu finden sind. Weiterhin wurden die meisten Bürgerhäuser in Fachwerk errichtet. Das sollte sich bis weit in das 18. Jahrhundert nicht ändern. Die Fachwerkhäuser der Renaissancezeit sind oft mit reichem Schnitzwerk verziert. Bemerkenswert war in Hannover das Zusammenspiel von Fachwerk mit Back- und Natursteinbauten.
Die wichtigsten historischen Ereignisse der frühen Neuzeit sind die Einführung der Reformation (1533) und die Wandlung zur Residenzstadt. Die Erhebung zur Residenz des Fürstentums Calenberg erfolgte 1636, mitten im Dreißigjährigen Krieg (1618-48). Herzog Georg (reg. 1636-41) begann mit dem Umbau des ehemaligen Franziskanerklosters am Leineufer zu einem Residenzschloss. Eine einheitlich konzipierte Bastionärbefestigung sollte die bisherige Stadtumwehrung ersetzen. In den Befestigungsring wurde auch die Neustadt einbezogen. Unter Herzog Georg Wilhelm (reg. 1648-85) erfolgte der planmäßige Ausbau der Neustadt. Sie wurde mit gerade geführten Straßen erweitert. Hier entstanden neue Straßenzüge mit einheitlich gestalteten Fachwerkhäusern. Für die Bewohner der Neustadt wurden die Johannis- und die Clemenskirche errichtet. Außerhalb der damaligen Stadt entstanden in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts die großartigen Gartenanlagen von Herrenhausen.
Nachdem das Fürstentum Hannover 1692 zum Kurfürstentum erhoben wurde, begann mit Kurfürst Georg Ludwig (reg.1714-27) die Personalunion Hannovers mit dem englischen Königreich (bis 1837). Die gewachsene Bedeutung des Kurfürstentums Hannover schlug sich jedoch wenig in Bauvorhaben nieder, da die Regenten überwiegend in London weilten. Die Errichtung eines neuen Residenzschlosses und eine barocke Überformung der Stadt unterblieben. Zu einer Stadterweiterung kam es lediglich vor dem Ägidientor.
Die barocke Bastionärbefestigung wurde in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgegeben und zu Promenaden umgewandelt. Planungen zur Erweiterung der Stadt setzten erst nach der Erhebung des Kurfürstentums zum Königreich Hannover (1814) ein. Sie unterlagen dem Baumeister Georg Ludwig Friedrich Laves, einem der bedeutendsten Architekten des Spätklassizismus in Deutschland. Er schuf das regelmäßige Stadtquartier im Nordosten der Altstadt. Dort fanden das Opernhaus und der Bahnhof ihren Platz. Im Südwesten entstand der repräsentative Waterlooplatz mit seiner Gedenksäule. Der von Laves geleitete Um- und Erweiterungsbau des Leineschlosses blieb unvollendet, da Hannover 1866 von Preußen annektiert wurde.
Als preußische Provinzhauptstadt nahm die Stadt einen starken industriellen Aufschwung. Dies führte zu einem enormen Bevölkerungswachstum und zu den entsprechenden, weiträumigen Stadterweiterungen. In der Altstadt wurden neue Durchgangsstraßen angelegt und Geschäftsviertel entstanden. Das Hauptwerk dieser Zeit ist das Neue Rathaus im Süden der Innenstadt.
In der Zeit der Weimarer Republik entstanden große, moderne Siedlungen und bedeutende Großbauten wie das Anzeiger-Hochhaus. Folge des vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieges war die schwere Zerstörung Hannovers durch Bombenangriffe. Damit ging einer der schönsten Großstadtkerne Norddeutschlands für immer verloren. Der Wiederaufbau erfolgte gerade in Hannover nach den Gesichtspunkten des modernen Städtebaus. Es sollte eine aufgelockerte, durchgrünte und für den Individualverkehr bestens erschlossene Stadtlandschaft entstehen. Daher mussten auch nach dem Krieg noch zahlreiche alte Bauten weichen. Andererseits wurden in Hannover in den 1950er Jahren viele beispielhafte Gebäude errichtet, die heute als Denkmäler einer abgeschlossenen Epoche gelten können.
Unsere Publikation soll das nicht mehr existierende, historische Stadtbild noch einmal vor Augen führen.
- Veröffentlicht am Donnerstag 19. Juli 2012 von Kotyrba, Sándor
- ISBN: 9783942712248
- 64 Seiten
- Genre: Architektur, Kunst, Literatur, Sachbücher