Ein weiterer Band des Hogarth Shakespeare Projects im Knaus Verlag, der vierte für mich inzwischen. Dabei waren bisher Margaret Atwood, Jeanette Winterson und Howard Jacobson. Herausgekommen sind sehr unterschiedliche Interpretationen von Werken Shakespeares, mal als miterlebte Theateraufführung, mal fast soapartig, mal ein Diskurs zum Judentum gestern und heute, aber immer spannend, interessant oder auch lehrreich.
Nun also Edward St Aubyn, einer der besten britischen Schriftsteller derzeit, bekannt dafür, den Finger in Wunden zu legen, die sonst eher im Verborgenen schwelen und kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er hat „King Lear“ gewählt, ein Familiendrama in höchsten Kreisen, also eigentlich für ihn fast ein Heimspiel.
Der Medienmogul Dunbar, Vater von drei Töchtern, gibt den Firmenvorsitz an zwei seiner Töchter ab und verstößt die dritte. Diese Entscheidung war falsch, denn Abigail und Megan schieben ihn in ein Sanatorium ab und versuchen, Pläne durchzusetzen, die gar nicht in Dunbars Sinne sind. Dunbar entflieht. Und nun hängt sein Leben davon ab, wer ihn zuerst findet, die ihn liebende Dritte im Bunde, Florence, oder die beiden intriganten Biester, die vor nichts zurückschrecken.
St Aubyn hatte definitiv Spass. Megan und Abigail sind die bösen Schwestern Cinderellas, getuned für die heutige Zeit, Karikaturen ihrer Art. Zehen fahren sie lieber anderen ab, statt sie selbst zu verlieren. Ihr Umfeld ist ebenso überzeichnet, der Arzt, der sein eigener bester Kunde ist, der Latino-Bodyguard, der für seine Süße auch mordet. Dagegen bleibt Florence blass. Was soll sie auch machen, sie ist die Gute im Stück und das Gute schillert nie so facettenreich wie der Gegenpart. Das muss auch der Autor so gesehen haben, denn rasanter sind definitiv die Szenen mit den Teufelsschwestern. Dunbar selbst ist gebeutelt, unter Medikamenteneinfluss und verstört von den Ereignissen. Ein armer, alter Mann, dessen Welt zerplatzt ist und der nun versucht,die Scherben zu finden.
St Aubyn ist trotz aller Modernisierungen und Anpassungen recht nah am Stoff geblieben, der Fokus bleibt auf der Familie, darauf, was Macht in den falschen Händen ausrichten kann und wie man gerade denen besonders gut weh tun kann, die einem am nächsten sein sollten, zeigt aber auch die Leere, die diejenigen erfüllt, die Macht besessen und verloren haben.
„Dunbar und seine Töchter“ ist sicherlich das Werk aus der Reihe, das am leichtesten zugänglich ist, für das man eigentlich keine Shakespeare-Kenntnisse braucht, weil es auch eigenständig funktioniert. Keine Werkanalyse, keine anstrengenden Monologe, keine mühsamen Adaptionsversuche. St Aubyn hat einen bösen Unterhaltungsroman über die Medienwelt zum Einen und dysfunktionale Familien zum Anderen geschrieben und ist damit wahrscheinlich sehr nah dran an Shakespeares Intentionen. Gutes Theater, das durch die Darsteller lebt, ohne aus dem Zylinder gezogene Kaninchen, dafür mit einer großen Portion menschlicher Abgründe. Leider allerdings auch mit ein paar Längen. Das Tempo, das das Duo Infernale vorlegt, können die restlichen Mitwirkenden nicht halten. Das ist schade, fällt im Gesamtverlauf aber gar nicht so sehr ins Gewicht.
Eine leichtfüssige Umsetzung eines schwerer wiegenden Themas, gute Unterhaltung und daher definitiv lesenswert.
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