Eve Harris ist mit ihrem ersten Roman ein großartiges Buch gelungen. Sie erzählt die Geschichte von Chani und Baruch und wie es zu ihrer Hochzeit kommt. Und gibt liebevoll und kritisch zugleich Einblick in die Welt des orthodoxen Judentums, in eine Welt, die geprägt ist von strengen Riten und Regeln, von vermittelten Ehen und wenig Selbstbestimmung.
Chani ist erst neunzehn. Trotzdem befürchtet ihre Mutter, sie fände keinen passenden Ehemann mehr. Zu viele hat sie abgelehnt, zu wenige haben Interesse. Chani ist zu selbstbewusst, zu neugierig, zu unangepasst. Auf einer Hochzeit sieht Baruch sie und weiß sofort, das ist sie, die Frau, die er heiraten möchte. Doch so einfach funktioniert das in einer strenggläubigen jüdischen Gemeinde nicht.
Unerwartete Hilfe bekommt Chani von Rivka Zilberman, der Rebbetzin. Sie steht ihr mit Rat und Tat zur Seite, weiß sie doch aus eigener Erfahrung, wie starr die Gebräuche sind, wie wenig Luft zur Selbstfindung den Menschen gelassen wird.
Obwohl Eve Harris auch von den Problemen und Grenzen der Männer erzählt, gilt ihr Augenmerk doch den Frauen. Wie behauptet man sich in einer Welt, in der es für alles eine Regel oder ein Gesetz und wenig Toleranz für eigene Träume und Vorstellungen gibt? Eve Harris berichtet von den kleinen Schlupflöchern, von der inneren Kraft, die einen Weg findet, aber auch von denen, die gehen müssen, um atmen zu können.
Der Autorin gelingt dabei ein bemerkenswerter Spagat. Denn obwohl sie in aller Deutlichkeit die Schwierigkeiten des Lebens in einer strenggläubigen Gemeinde beschreibt, zeigt sie auch die schönen Momente, den Zusammenhalt, den ein gemeinsamer Glaube mit festen Ritualen schafft.
Ihre Charaktere sind durchgehend glaubwürdig in ihrer Zerrissenheit, ihrem Aufbegehren, aber auch in ihrem tiefen Glauben, ihrem Wunsch, ein guter Mensch zu sein. Es gibt keine schwarzweißen Schablonen, jeder Charakter hat seine eigenen Licht- und Schattenseiten. Besonders angerührt hat mich dabei die Rebbetzin, und, ja, auch ihr Mut und die Kraft, sich ihr eigenständiges Wesen zu erhalten und sich nicht fremdbestimmen zu lassen. Chani und Baruch dagegen wünscht man, sie mögen sich ihr Aufbegehren gegen unsinnige Regeln bewahren und einen Weg finden, ihre Ehe möglichst eigenbestimmt zu führen. Zimmen tov.
Trotz des ganz bestimmt nicht einfachen Themas, liest sich der Roman wunderbar leicht und mitreißend. Die vielen jüdischen Begriffe sind meistens selbsterklärend, aber verstärken das Gefühl, einen Einblick in eine völlig andere Welt zu bekommen, eine Welt, die in diesem Falle in einem Stadtteil Londons liegt. Ich habe das Buch in einem Atemzug gelesen, alles um mich her vergessen und war fasziniert von der Dichte dieses Erstlings. Ich hoffe, es bleibt nicht bei diesem einen Roman. Von dieser Autorin würde ich definitiv gern mehr lesen.
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