Seine Spuren sind steingewordene Visionen. Aber in der Stadt, die seine große Liebe wurde, in Dresden, ist er heute nahezu vergessen. Ja, nahezu ausgelöscht. Julius Ferdinand Wollf, geboren 1871 in Koblenz, studierter Wirtschaftsfachmann, Theaterdramaturg und Autor und vor allem Herzblut-Journalist, kam 1903 von München aus ins damals ziemlich verschlafene Dresden. Er übernahm mit den Dresdner Neuesten Nachrichten die zu dieser Zeit auflagenstärkste Zeitung nicht nur der Elbestadt, sondern ganz Sachsens als Chefredakteur und Herausgeber. Er machte sie zu einem Fenster in die Literaturwelt und in die Politik, holte große Köpfe an sein Blatt und blies jede Menge frischen Wind in die angestaubte Gedankenwelt Dresdens zwischen Adel und behäbigem Bildungsbürgertum. Wollfs Liste an persönlichen Freunden und die Namen seines geradezu europaweiten Netzwerks lesen sich wie das „Who is who“ aus Politik, Wirtschaft und vor allem Kunst und Literatur der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Vom Literaturnobelpreisträger Hauptmann über Deutschlands Außenminister Stresemann bis hin zu Dresdens legendärem Mundwasser-König Lingner, dessen Freund und damals einziger Biograf Wollf wurde, dessen Idee eines Deutschen Hygiene-Museums er mit Herzblut und dank all seiner Kontakte half, Realität werden zu lassen. Wollf stieg zudem rasant zur Nummer zwei der deutschen Verlegerschaft auf, war ein an Universitäten und in zahllosen Verbänden gefragter Referent und Akteur. Auch im Staatsschauspiel Dresden hinterließ Wollf deutliche Spuren. Er nahm aufgrund seiner guten Kontakte nicht nur Einfluss auf den Spielplan und auf personelle Entscheidungen – so lotste er beispielsweise seinen Vetter Karl Wollf auf den Posten des Ersten Dramaturgen –, sondern stand kraft seiner auflagenstarken und zumindest in der sächsischen Hauptstadt Dresden einflussreichen Zeitung hinter progressiven und mutigen Stücken, Autoren bzw. Entscheidern. Hier legte sich Wollf auch gern mal mit den politisch Mächtigen an. Wie auch in seiner Position in der deutschen Verlegerschaft.
1933 wurde er von den Nationalsozialisten brutal ins Aus gedrängt. Als in eine streng jüdisch gläubige Familie Hineingeborener, später zum evangelischen Glauben konvertierter Christ, trafen Wollf all die unsagbaren Unmenschlichkeiten, mit denen die Nationalsozialisten Juden quälten. Auch er bekam Berufsverbot, durfte nicht mehr in sein geliebtes Theater und wurde zum Aussätzigen erklärt. Und schon zu dieser Zeit wurde er tatsächlich ausgelöscht. Sein Name, der Mensch Wollf, sollte vergessen werden. Ein perfides Ansinnen der Nationalsozialisten, obendrein ein bis heute leider traurig erfolgreiches. 1942 – Tage vor der Deportation ins Vernichtungslager – nahmen sich Julius Ferdinand Wollf und seine Frau Johanna in Dresden das Leben.
In diesem dank aufwändiger Recherchen, mannigfaltiger Funde und vieler erfolgreich verfolgter Spuren so facettenreich gewordenen Buch bricht sich das Licht der Geschichte Dresdens, aber auch das der sich kreuzenden Lebenswege einzelner Zeitgenossen wie in einem Kaleidoskop im Leben nur einer einzigen Person: Julius Ferdinand Wollf. Diese umfangreiche Biografie wird den „Ausgelöschten“ nun zurückholen. Und ein spannendes wie auch trauriges Stück Dresdner Stadtgeschichte.
- Veröffentlicht am Donnerstag 28. Februar 2019 von KUNSTBLATT Verlag Dresden
- ISBN: 9783982016306
- 608 Seiten
- Genre: Autobiographien, Biographien, Gesellschaft, Politik, Sachbücher, Wirtschaft