Panchatantra

Perlen indischer Lebensweisheit

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Das Panchatantra (Sanskrit, wörtlich „die fünf Gewebe“) wurde ursprünglich im heutigen Kaschmir in Pali, einer mittelindischen Literatursprache, verfasst und wird heute auf das dritte Jahrhundert nach Chr. bestimmt. Es gilt als das wichtigste literarische Werk Indiens, das jedoch bereits im sechsten Jahrhundert im indopersischen Kulturraum, und hier besonders unter den Sassaniden, intensiv vereinnahmt wurde. Zu dieser Zeit entstanden auch die ersten Übersetzungen ins Mit- telpersische. Danach folgten Übersetzungen ins Arabische, Lateinische, Hebräische, Spanische, Deutsche und viele weitere europäische und asiatische Sprachen. Viele dieser Übersetzungen ba- sierten auf arabischen Versionen und wurden als „Fabeln des Bidpai“ verbreitet. Genau genommen ist der Urtext, aus dem das Panchatantra entstand, das kaschmirische Tantrakhyayika, das Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wieder gefunden wurde.
Das Buch besteht aus fünf Teilen, die allesamt wiederum aus ineinander verwobenen, moralischen Fabeln und Gleichnissen bestehen.
Das Panchatantra diente im indo-persischen Kulturgebiet der Erziehung der Prinzen. Durch seine erzählerische Struktur regt es den Leser an, sich emotional zu beteiligen und einen unbewusst vor- gegebenen Wertekanon zu erkennen.
Bereits zwischen dem zweiten Jahrhundert vor bis dem zweiten Jahrhundert nach Chr. entstand in Nordindien ein Werk, die Manusmriti („Gesetze des Manu“), das die Moral aus der Sicht der Brah- manen beschreibt und als Leitfaden für hinduistische Herrscher und Politiker, sowie Vorschriften zum Dharma („richtiges Verhalten“) verfasst wurde. Im Gegensatz zu diesem, recht trockenen und streng an den Hinduismus gebundenen Werk, ist das Panchatantra ein religionsübergreifendes, beinahe weltliches moralisches Werk. Das erklärt auch seine intensive Verbreitung in allen Religi- onen und später auch in islamischen Kulturkreisen, wobei Werke wie das Manusmriti und andere vedische Schriften rein indische Angelegenheiten blieben.
Der folgende Text basiert zum Teil auf der 1901 veröffentlichten Ausgabe von Richard Schmidt, der sie als „Eine altindische Märchensammlung, zum ersten Male übersetzt von Richard Schmidt“ be- zeichnete. Das mag dem Umstand geschuldet zu sein, dass ihm damals andere deutsche Fassungen nicht bekannt waren. Tatsächlich weiß man heute von einer deutschen Handschrift von 1484, die Johannes de Capua als „Directorium humanae vitae“, also als Leitfaden des menschlichen Lebens,
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verfasst hat. Zudem hatten später Dr. Wilhelm Ludwig Holland (Das Buch der Beispiele der al- ten Weisen) 1860, Theodor Benfey (Pantschatantra: Fünf Bücher indischer Fabeln, Märchen und Erzählungen) 1859, sowie Dr. Ludwig Fritze („Pantschatantra, Ein altes Indisches Lehrbuch der Lebenskunst“) 1884, zwar unter anderen Titeln, jedoch auf ähnlichen Quellen basierende Überset- zungen veröffentlicht.