Wo liegen unsere Wurzeln? Haben wir zu ihnen noch Zugang oder sind wir zu Nomadentum und Wurzellosigkeit verdammt? Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk spürt in ihrem Roman „Unrast“ diesem Kern des Menschen nach.
Die Schriftstellerin hat ihren Roman aus Bruchstücken zusammengefügt: aus Tagebuchaufzeichnungen, Erzählungen, Skizzen, Traumprotokollen und Briefen. Die Erzählerin sinniert über ihre Bewegung in Raum und Zeit. Was ihre Figur, die sogenannte „Läuferin“ erlebt hat autobiographische Züge. Olga Tokarczuk erzählt in einem Interview, dass sie die Idee zu diesem Roman auf ihren eigenen Reisen hatte. In ihrem persönlichen Nomadentum macht sie sich ständig Notizen und sammelt Geschichten, die ihr erzählt werden, und Gedanken und Betrachtungen, die ihr selbst durch den Kopf gehen. Hinzu kommen Zitate, Glossen, Kommentare, religiöse Betrachtungen – Lebensschnipsel. Vieles davon ist in diesen Roman eingeflossen und die Autorin vermittelt es uns mit viel Sinn für Details und für die leisen Momente im Leben.
Wie gesagt, die Erzählfragmente handeln vom Unterwegssein, von der Bewegung des modernen Menschen. In ihnen wird deutlich, dass das Reisen, diese so geliebte Lebensform, neben dem Entdecken ein anderes Motiv in sich trägt: das permanente Nomadentum. Und das steht für eine Form der Unrast. Die Autorin deckt in ihrem Roman auf, wie tief diese in uns verwurzelt ist.
Die Bruchstücke des Romans, die für den Leser durchaus auch anstrengend daherkommen, werden von der Macht der Sprache dieser polnischen Autorin zusammengehalten, einer Macht, die zum Glück auch in der Übersetzung zu spüren ist. Es gibt viele sehr schöne Passagen in diesem Buch – solche, in denen Tokarczuk ihr erzählerisches Talent unter Beweis stellt. Gerade das kann sie hervorragend anhand der alltäglichen Episoden und in ihren wunderbarem Blick für Menschen.
Was aber diesen Roman von anderen großen Romanen von Olga Tokarczuk unterscheidet ist das vergleichsweise lockere Band der Erzählung. Die Episoden sind nicht so eng zu einer Geschichte verflochten wie man es aus anderen Romanen von ihr gewohnt ist. Insofern: Ein ungewöhnlicher, aber durch die autobiographischen Elemente auch persönlicher Roman der Schriftstellerin mit einem Thema, das so neu nicht ist, uns aber alle bewegt.
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