Meine Irrungen, Wirrungen

von

Kein Schriftsteller ist mir so nah wie Theodor Fontane.
Als Schulkind begeisterte mich John Maynard, der sich opferte, um die Passagiere eines brennenden Schiffs auf dem Eriesee zu retten. (Sich für andere aufzuopfern, galt damals als höchste Tugend!)
Mit 15 weinte ich um die arme Effi, verfluchte den seelenlosen Baron von Instetten und wollte niemals heiraten! Mit 16 hatte ich keine Bücher mehr, kein Bett, keine Heimat.
Aber immer, wenn eine Tür krachend zuschlug, tat sich eine andere auf: ein Studienplatz an der Buchhändler-Lehranstalt im von Bomben zerstörten Leipzig, eine Praktikantenstelle beim Mitteldeutschen Rundfunk, der 1947 gerade sein Tagesprogramm aufgenommen hatte, Schwarzhörer an der Uni bei dem legendären Hans Maier, der über „Soziologie in der Literatur des 19. Jahrhunderts“ las und den Grundstein legte für den Platz, auf dem ich mich fürs ganze Leben einrichten sollte. Fontane als „Stützpfeiler“…
Aber erst Jahre später begriff ich durch seine vielfältigen, bekenntnishaften Briefe, wie viele Parallelen es gab in unseren Lebensbögen: Als ich antrat, um „die Welt zu verbessern“, war ich etwa so alt wie er, als er, März 1848, die ‚Sturmglocken der Revolution‘ läuten wollte; doch die Kirche war zugesperrt und die im Operettenfundus requirierte Flinte unbrauchbar. Nur mit seiner Feder konnte er für seine Vorstellung von einer gerechteren Welt streiten.
Bitter und schmerzhaft war die Einsicht, dass die Sterne seiner Sturm- und Drang-Zeit unerreichbar waren, aber er hörte nicht auf, diese Sterne als Orientierungspunkte zu behalten. Sich anpassen, ohne sein Gesicht zu verlieren und seinen Charakter zu verbiegen, das bleibt seine Aufgabe. Resignation unausbleiblich, aber sobald die Talsohlen nervlichen Abattu-Seins durchschritten waren, raffte er sich immer wieder auf, denn „ein anständiger Kerl läuft nicht davon, selbst wenn er seinen Posten, auf den er gestellt ist, als aussichtslos erkennt“. Und überhaupt: Wer sich einen Platz erworben, auf den er seiner Natur nach hingehört, der kann nicht ganz unglücklich werden; und wenn er es darüber hinaus versteht, wo immer er auch marschiert, die Musik des Lebens zu hören, – so ist er ein glücklicher Mensch.
Fontane hat es vorgelebt und das macht ihn mir über all seine literarischen Werke hinaus so lieb und wert. Ich habe ihn mir nicht ausgesucht; er ist mir zugewachsen – mit der Zeit.
Gisela Heller