Heinrich Heine wird heute so häufig zitiert und plagiiert wie kaum ein anderer deutscher Dichter. Seine Werke wurden in alle Kultursprachen übersetzt. Über zehntausend Vertonungen verleihen der Aktualität und Popularität Heines einen einzigartigen Klang. Heine ist neben Schiller und Goethe zu dem großen Klassiker der deutschen Literatur avanciert. Dieser Status darf gleichermaßen Anlaß zur Freude und Sorge geben.
Erfreulich vor allem, da der am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geborene Heine auch in Deutschland endlich angekommen zu sein scheint. Eine Tatsache, die vor der Folie einer wohl einzigartigen Rezeptionsgeschichte umso mehr Beachtung verdient. Zu Lebzeiten zensiert und verboten, von den Nationalsozialisten vorübergehend aus der deutschen Literatur getilgt, in Zeiten der deutschen Teilung politisch vereinnahmt, hat Heines Werk eine beeindruckende Widerstandskraft bewiesen. Der ‚brave Soldat im Befreiungskriege der Menschheit‘ hat so manchen Kugelhagel überlebt. Erinnert sei an die Geschichte der deutschen Heine-Denkmäler und an den über zwei Jahrzehnte währenden Streit um die Benennung der Düsseldorfer Universität nach dem in der rheinischen Landeshauptstadt geborenen Dichter (‚O Schilda, mein Vaterland!‘).
Als Zentrum der internationalen Heine-Forschung fungiert seit Jahrzehnten das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut. Die ebenfalls in der Geburtsstadt Heines ansässige Heinrich-Heine-Gesellschaft ist eine der größten literarischen Gesellschaften Deutschlands und widmet sich seit einem halben Jahrhundert der Aufgabe, Heines Werk einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
Doch die Klassikerwerdung Heines impliziert auch die Gefahr seiner Entpolitisierung und Verflachung. Allerdings ist Heines Werk von der Forschung gründlich erschlossen worden. Der heutige Leser kann darum die zahlreichen tagespolitischen Anspielungen und Verweise auf Zeitgenossen unter Heranziehung der Düsseldorfer Heine-Ausgabe nachvollziehen. Heines viel gepriesener Witz und seine kunstvolle Ironie aber vermögen auch 150 Jahre nach seinem Tod am 17. Februar 1856 immer noch unmittelbar zu fesseln.
Neben Lyrik und Prosa umfaßt Heines Œuvre zahlreiche journalistische Texte und Briefe, die in ihrer Eigenständigkeit lange Zeit nicht genügend gewürdigt wurden. Diesen vier Säulen seines Schreibens trägt die vorliegende Textauswahl Rechnung. ‚Heine im Quadrat‘ enthält 72 chronologisch angeordnete Zitate, die zu einem literarischen Spaziergang einladen: Heine zum Anfassen und Anregenlassen, denn Heine hat Haptik – ist greifbar und angreifbar. Heine läßt sich erfassen, doch nicht rein oberflächlich konsumieren. Die hier gewählte Form, Texte auf Kärtchen zu drucken, entspricht Heines ungebundenem Geist. So wie seine Texte bis in die heutige Zeit auf irrlichternde Weise eingefahrene Denkmuster aufbrechen, so mögen die Kärtchen mit Heine-Zitaten ihre Wirkung als ‚poetische Einzelkämpfer‘ an den unterschiedlichsten Orten entfalten.
- Veröffentlicht am Donnerstag 10. November 2005 von Grupello Verlag Bruno Kehrein
- ISBN: 9783899780420
- 72 Seiten
- Genre: Aphorismen, Belletristik