Ich bin so unzufrieden mit den Enzyklopädien, daß ich mir diese hier für meinen persönlichen Gebrauch geschrieben habe, sagt Savinio und stellt damit klar, daß er zu den eigensinnigsten Autoren des zwanzigstens Jahrhunderts zählt. Leonardo Sciascia hat behauptet, man habe es mit dem größten italienischen Schriftsteller seiner Zeit zu tun. Das mag eine Übertreibung sein. Fest steht allerdings, daß ihn an Extravaganz keiner übertrifft.
Savinio paßt in keine Schublade. Man kann in ihm einen Traditionalisten, einen Aristokraten sehen. Doch stand er mit der europäischen Avantgarde auf Du und Du, war befreundet mit Picasso, Apollinaire und den Surrealisten, wetteiferte mit seinem Bruder Giorgio de Chirico, und tat sich als Maler, Komponist, Choreograph und Reporter hervor.
Doch vor allem war Savinio ein bedeutender Essayist, und so ist es kein Wunder, daß sein privates Lexikon aus höchst originellen Aufsätzen besteht. Das Alphabet erlaubt es ihm, mit der größten Unbefangenheit von einem Thema zum andern zu springen: von der Allwissenheit zur Amöbe, vom Don Quichotte zum Druckfehler, von der Solidarität zu den Süßspeisen und vom Ziborium zur Zoographie.
Hier wird man nicht sowohl belehrt als überrascht. Ich unterhielt mich mit meinem Freund B. über Schatten. – Das Unendliche ist eine Frage der Atmosphäre – Die Kunst ist heidnisch – Ich habe keine große Erfahrung mit Gefängnissen: Mit solchen Sätzen schlägt der Essayist einen leichten Ton an, der verführerisch ist und uns immer tiefer in das Labyrinth seiner Gedanken lockt.
- Veröffentlicht am Samstag 26. Oktober 2024 von Eichborn ein Imprint der Bastei Lübbe AG
- ISBN: 9783821845517
- 492 Seiten
- Genre: Belletristik, Briefe, Tagebücher