Grossfürstin Anna

Flucht vom Zarenhof in die Elfenau

von

Therese Bichsel porträtierte in früheren Romanen u. a. die schöne
Schifferin und Catherine von Wattenwyl. Nun liegt eine weitere bewegende
Frauen-Biografie vor: das Schicksal der Prinzessin Juliane
von Sachsen-Coburg, die als Grossfürstin Anna Feodorowna (1781–
1860) in die Geschichte einging.
Die vierzehnjährige Juliane, Prinzessin von Sachsen-Coburg, reist auf
Befehl
der Zarin (Katharina die Grosse) mit Mutter und Schwestern nach
St. Petersburg: Der Enkel von Katharina, Konstantin, soll sich unter den
drei Schwestern eine Frau aussuchen. Er wählt und heiratet die jüngste,
die hübsche, lebhafte Juliane. Sie wird damit zur russischen Grossfürstin
Anna und begründet den Aufstieg des Hauses Coburg an die Spitze der
europäischen Königsfamilien: Ihr Bruder Leopold wird zum ersten König
der Belgier, ihre Nichte zur grossen englischen Queen Victoria.
Aber sie selbst ist unglücklich, flieht vor ihrem grausamen Ehemann zurück
nach Coburg und weiter in die Schweiz. In Bern wird sie heimliche
Geliebte und Mutter zweier Kinder, die sie verstecken muss. Der angesehene,
verheiratete Medizinprofessor Rudolf von Schiferli steht – in verschiedenen
Rollen – an ihrer Seite. Bern hofiert der Grossfürstin, deren
Schwager, Zar Alexander, nun der mächtigste Herrscher Europas ist.
Man erhofft sich Vorteile von Anna, hält aber wegen ihres Lebenswandels
gleichzeitig argwöhnisch ein Auge auf sie.
In der ‹Elfenau› – ein von ihr so benanntes, wunderschönes Gut an der
Aare – findet sie eine neue Heimat. Aber auch dort bleibt sie von Irrungen
und Wirrungen um ihre Kinder und die Scheidung nicht verschont.
Anna wünschte sich lediglich ein kleines bisschen Privatheit, Liebe und
Wärme. Aber die Glücksmomente waren rar und flüchtig. Das Leben,
das sie sich erträumt hatte, gelang nur in Ansätzen und jenseits der
Konventionen.
Alles war so unwirklich – dieser Stern, der keiner war, die nächtliche
Landschaft, die sich um sie ausbreitete, die Leute, die sich in ihren Häusern
längst zur Ruhe gelegt hatten. Nur sie beide waren noch wach,
schien ihr, und holperten in ihrem kleinen Wagen durch die Nacht. Sie
lehnte sich an ihn, die Fahrt hätte noch viel länger dauern können, aber
nun brachte der Kutscher das Pferd plötzlich zum Stehen, sie waren
zurück vor dem gelben Haus. Was nun?