Kleines Archiv des achtzehnten Jahrhunderts

Nebst einem Schreiben an N.N. dass man ohne Kopf empfinden könne

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Der berühmte Herausgeber der popularphilosophischen Zeitschrift „Der Arzt“, Johann August Unzer (1727-1799), wandte sich schon während seines Medizinstudiums in Halle mit Vorliebe Fragen im Grenzbereich von Philosophie und Medizin zu. So erörtert er in der hier erstmals wieder gedruckten Jugendschrift aus dem Jahr 1746 die Differenzen zwischen Tiefschlaf und Traum vor dem Hintergrund der rationalistischen Psychologie Wolffs und der mechanistischen Physiologie Boerhaaves und stellt im angehängten „Schreiben an N.N.“ die ebenso kühne wie launig vorgetragene These auf, „daß man ohne Kopf empfinden könne“. Damit aber trifft Unzer nicht nur ins Zentrum der entstehenden Nervenphysiologie – er weist auch voraus auf das Projekt einer mittleren, d. h. sowohl philosophischen als auch medizinischen Wissenschaft vom Menschen, der Ernst Plattner 25 Jahre später den Namen ‚Anthropologie‘ geben wird. Unzers „Gedancken“ sind in ihrer Mischung aus solider Gelehrsamkeit und selbstironischer Spielerei ein ebenso typisches wie in ihrer spezifischen Ausformung einmaliges Exempel der Halleschen Aufklärung um 1750, die in der Folge weite Kreise zog.