Berichte aus der Philosophie

Wie objektiv ist die Außenwelt eines Maulwurfs? Essay wider den Teilchenwahn der Physik

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Mehrfach haben die Erkenntnisse der Physik das Weltbild des modernen Menschen revolutioniert – von der kopernikanischen Wende bis zur Quantenphysik. Auf der Suche nach der Weltformel stoßen die Theoretiker heute in Dimensionen vor, die empirisch kaum noch zu belegen sind. Die Modelle der Kosmologen wirken spekulativ und die subatomare Welt extrem unanschaulich. Der gebildete Zeitgenosse fragt sich verwundert, ob die moderne Physik ihm überhaupt noch ein konsistentes Weltbild zu liefern vermag und ob „die Wirklichkeit“ nicht ganz anders ist, als die Schulweisheit sich über Jahrhunderte träumen ließ.

Der Abschied vom mechanisch-kausalistischen Paradigma der Newton-Ära vollzieht sich nur zögerlich. Selbst bei den Profis der Zunft herrscht nach wie vor ein naiv-materialistisches Wissenschaftsverständnis vor*. Unreflektiert setzen sie voraus, dass ihr Gegenstand die „materielle Welt“ sei – ein geschlossenes System, das sich menschlichen Ambitionen gegenüber indifferent verhält und in dem Gott aus methodischen Gründen nicht oder nur als Interventionist vorkommt.

Damit stellt sich die Frage: Was ist real? Wer hat die Deutungshoheit, darüber zu befinden, was „objektiv“ gilt und „wirklich“ der Fall ist? Wenn es um das Wirklichkeitsverständnis hinter den Weltbildern geht, ist ein ideologiekritischer Dialog zwischen Natur- und Geisteswissenschaften angesagt. Der Autor führt diesen Dialog locker und pointiert, indem er sich mit den Grenzwächtern auseinandersetzt. Ihre Hauptaufgabe sehen sie darin, die Wissenschaft rein zu halten und vor Einbrüchen des Irrationalen zu schützen. Sie fürchten das Umsichgreifen wissenschaftlich nicht legitimierter Ansichten über Gott und die Welt und legen die Spielregeln des Diskurses fest.

Ironisch fordert der Autor eine Entmythologisierung der Realität. Das Objektivitätsideal der Grenzwächter hält er für eine Chimäre und wirft ihnen Realitätsferne vor. Systematisch blendeten sie aus, dass Außen- und Innenwelt Korrelate sind. Die wirkliche Welt, in der die Wesen leben, sei kein von der Wahrnehmung unabhängiges materielles Substrat; Materie ohne Wahrnehmung sei genauso undenkbar wie der Raum ohne Objekte oder die Zeit ohne Ereignisse. Ohne wechselseitige Wahrnehmung könne es eine Welt der Wechselwirkung, wie die Physik sie darstelle, nicht geben. Die Realität bestehe nicht aus sog. materiellen Bausteinen oder isolierbaren passiven Einheiten, sondern aus interaktiven Vielheiten: Scharen kooperativer Gebilde, die unterschiedliche Spielideen verwirklichen – keine Welt der Teilchen, sondern der Beteiligten, die sich nicht indifferent, sondern differenzempfindlich zueinander verhalten. Die Suche nach den kleinsten materiellen Teilchen sei sinnlos, da die Elementarakteure nicht wiederum „aus Materie“ bestehen könnten; sonst wären sie ihrerseits zusammengesetzt und teilbar, mithin gerade nicht elementar.

Von seinem Ansatz eines kooperativen Universums her wendet sich der Autor an die „Vorlauten unter den Darwinisten“**. Der Mythos vom Kampf ums Dasein sei zum kollektiven Credo einer ganzen Epoche geworden und täusche eine nur in Glaubensgemeinschaften übliche Evidenz vor. Die Auseinandersetzung zwischen Darwinisten und Kreationisten sei der überholte Streit zwischen zwei Beschränkten, der klügere Sichtweisen verstellt. Von der genetischen Findigkeit der Natur überrascht, müssten orthodoxe Darwinisten ihre Theorien immer wieder nachbessern und dehnen; in Wirklichkeit sei die Natur ein lernfähiges interaktives System, das weitaus mehr als der tumbe Mechanismus von Mutation und Selektion oder ein zufallsgesteuerter Gradualismus leisten könne.

Im Anhang findet sich eine Rede an den toten Newton, dass im ganzen Weltgebäude keine Materie sei (frei nach Jean Paul). Die Rede verwirft das Konzept einer „trägen Materie“ und gipfelt in der Aussage, dass es nirgendwo im ganzen All etwas rein Passives und Ruhendes gebe, sondern dass der „Stoff“, aus dem das Dasein ist, Bewegung heiße: Esse est movere.

* Lisa Randall ** Richard Dawkins (beide Namen stehen exemplarisch für eine Denkrichtung)