1926 definierte der protestantische Theologe Fritz Jahr (1895–1953) aus Halle (Saale) den Begriff „Bioethik“ im weiten Sinn in seinem Artikel Wissenschaft vom Leben und Sittenlehre in der Zeitschrift Die Mittelschule. 1927 konzeptualisierte er diesen Begriff in der Zeitschrift Kosmos, das heißt als sittliche Verpflichtungen nicht nur gegen den Menschen, sondern gegen alle Lebewesen. Jahrs Bioethischer Imperativ lautet: „Achte jedes Lebewesen grundsätzlich als einen Selbstzweck und behandle es nach Möglichkeit als solchen!“ Damit ging Fritz Jahr schon 1926 weit über den engen Begriff der Bioethik hinaus, wie dieser seit 1970 in den USA als Abkehr von paternalistischer Arztethik und Wendung zu einer partnerschaftlichen Ethik zwischen Patient und Arzt beschrieben wurde. Vielmehr schlug Jahr die Brücke zwischen Ethik und Naturwissenschaft. Er beschrieb, wie der Mensch mit der belebten Umwelt umging und welche Missstände damit verbunden waren. Dabei hob er – ganz in der Tradition von Charles Darwin (1809–1882) – die Grenze zwischen menschlichem und tierischem Leid auf. Jahr führte den Begriff der Bioethik ein, um damit menschliches Verhalten angesichts des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts in diesen neuen Rahmenbedingungen bewerten zu können. Immanuel Kants (1724–1804) Formulierung des Kategorischen Imperativs wurde Jahr strukturelles Vorbild für seinen Bioethischen Imperativ. Im vorliegenden Band werden 22 Originalarbeiten von Fritz Jahr, in chronologischer Folge angeordnet, als Replicata herausgeben, um die weit verstreuten Quellentexte für die internationale bioethische Diskussion kompakt zusammengestellt und zitierfähig zur Verfügung stellen zu können.
- Veröffentlicht am Donnerstag 30. Oktober 2014 von Universitätsverlag Halle-Wittenberg
- ISBN: 9783869771038
- 139 Seiten
- Genre: 20., 21. Jahrhundert, Hardcover, Philosophie, Softcover