Der Autor hat sich in der Fachwelt schon vor fünfzehn Jahren durch sein Buch „Die Lehre der Proprietates Terminorum Sinn und Referenz in mittelalterlicher Logik“ (Philosophia Verlag München 1989) einen Namen gemacht… Auch wer die philosophische Grundposition des Autors nicht teilte, hatte keine Mühe, in dem Opus eine herausragende wissenschaftliche Leistung und im Verfasser eine ungewöhnliche philosophische Begabung zu erkennen. Dieser Eindruck bestätigt sich hier erneut… Gegliedert ist diese Untersuchung in zwei Teile, deren ersten der Verfasser als „Vorfragen einer ontologischen Betrachtung“ betitelt, während er den zweiten, weit umfangreicheren schlicht mit „Aufbau“ überschreibt, weil er hier sein System einer Ontologie von Eigenschaft(en) und Inhärenz errichtet, Die Erörterung von „Vorfragen“ in Teil I dient einerseits dazu, den Ort des vom Verfasser überzeugt und überzeugend vertretenen ontologischen Zugangs zu den (klassischen wie modernen) Hauptproblemen der Philosophie neben erkenntnistheoretischen und sprachphilosophischen Zugangsarten auf- zuweisen. Zum anderen wird für einen Primat ontologischer Analysen argumentiert, indem nicht nur gezeigt wird, dass einige wichtige Probleme der Philosophie mit rein erkenntnistheoretischen oder sprachphilosophischen Mitteln nur unzureichend behandelt werden können, wohingegen ontologische Mittel dabei weiter tragen und zur Lösung des philosophischen „puzzles“ führen. Diese Argumentation enthält natürlich überwiegend Kritik, die sich z.B. gegen idealsprachliche Versuche oder auch gegen solche des methodischen Konstruktivismus richten, der die ontologische Rede von Eigenschaften oder von Wahrheit durch Reduktion auf die Ebene der Sprachhandlungen vermeiden will. Dufour macht nicht nur allgemein plausibel, dass eine formale Semantik nicht alle Aufgaben einer Ontologie übernehmen kann, sondern auch im Detail, dass die (u.a. durch Quine bewirkte) „Renaissance“ ontologischer Betrachtungs- oder zumindest Redeweisen in der Philosophie der Logik die klassischen Ansätze nicht überflüssig macht (weil auch die Entscheidung zwischen konkurrierenden Logiksystemen mit verschiedenen ontologischen „commitments“ aufgrund echter ontologischer Erwägungen getroffen werden muss). Positiv wird ver- merkt, dass die erfolgreiche Durchführung z.B. sprachkritischer Analysen eine heutige Ontologie durchaus von Ballast befreien kann; sie kann daher „ontologische Forschung nur begünstigen“. Repräsentationistische Theorien, nach denen man „direkte Einsicht nur in die eigenen Vorstellungen gewinnen kann“ werden sowohl in ihrer sprachphilosophischen Variante als auch in allen Formen des Idealismus abgelehnt. Es gelingt repräsentationistischen Auffassungen nicht, Brücken zwischen Vorstellung(en) und Realität zu schlagen, ein vom Verfasser mit Recht als crux philosophorum bezeichnetes, die ganze Philosophiegeschichte durch- ziehendes Problem. Seiner Lösung widmen sich auch die verschiedenen Theorien der Intentionalität, nicht nur, aber doch vor allem in der phänomenologischen Forschung im weiten Sinne. Bemerkenswert und für künftige Diskussionen vielversprechend erscheint mir hier, dass Dufour nicht nur an den intentionalen Erlebnissen die von ihm als „Subjekt“, „Akt“, „Stoffobjekt“ und „Aspekt“ bezeichneten vier Elemente unterscheidet, sondern eindrucksvolle Analysen der zwischen ihnen bestehenden, sehr unterschiedlichen und oft schwer zu fassenden Verhältnisse mit formallogischen Mitteln durchführt… Herrn Dufour gelingt in §5.3 eine höchst interessante und nach meiner Kenntnis nicht nur originelle, sondern tatsächlich neue Diskussion der „Amphibolie der notwendi- gen Relationsaussagen“. Herr Dufour schließt sich der Meinung an, dass die Trennung zwischen Vorstellung und Realität durch Eigenschaften überwunden oder überbrückt wird. Damit ist der zentrale (und deshalb ja auch im Titel stehende) Begriff der Untersuchung erreicht, zugleich natürlich mit dem Begriff der Inhärenz, dem Verhältnis, das eine Beschaffenheit eines Gegenstandes zu diesem selbst hat. Es geht nun, nachdem zu Beginn des Teils II der großen Untersuchung die Intentionalitätsthematik vorgestellt worden ist, zunächst um klassische Gestalten des Umgangs mit Eigenschaften und ihren Trägem, der „Applikation“ von Attributen und Relationen, allgemein der Prädikatiori als einer sprachlichen Handlung und dem, was ihr auf selten der Realität entsprechen und zugrunde liegen muss. Eine sehr selbständige Auseinandersetzung mit dem bekannten Fregeschen Paradox des „Begriffs Pferd‘ wird aufgelöst, jedoch zugestanden bzw. unterstrichen, dass das Denken (dem das kurze Kapitel 10 ganz gewidmet ist) Eigenschaften nur erfassen kann, wenn sie („zuvor“, wie sich der Verf. ausdrückt) im prädikativen Modus erfasst sind. Nach der gelungenen Analyse kann Herr Dufour festhalten, „dass alle Eigenschaften in gewissem Sinn abhängig von ihrer prädikativen Natur sind. Eine Eigenschaft, die sich nicht rein prädikativ erfassen lässt, ist keine echte Eigenschaft“; diese Festsetzung bringt dann u.a. die Antinomien der Selbstapplikation zum Verschwinden. Die nun folgenden, überaus diffizilen und anspruchsvollen Teile des „Aurbaus“ der Ontologie eignen sich kaum für ein Referat über Inhalt und. Qualitäten des Werkes; ihre Würdigung gehört im Grunde in die zu erhoffende Auseinandersetzung der philosophic community mit den Grundgedanken und Hauptthesen des Verfassers. Deren Bedeutung scheint mir in dreierlei Hinsicht offensichtlich und greifbar. Erstens fällt von der dezidierten systematischen Position vielfach helles Licht auf historisch aufgetretene Positionen und Einzelprobleme, etwa bei Aristoteles und im Aristotelismus, bei Leibniz, bei Hegel, bei Brentano, bei Husserl und bei neueren; die hier. verborgenen „Goldkömer“ sollten auch dort nicht übersehen werden, wo sie um der Transparenz des systematisch orientierten Haupttextes in die Fußnoten verlagert sind. Zweitens führt Dufours Auffassung und Analyse des Verhältnisses von Eigenschaft und Träger unter dem Aspekt ihrer Ganzheit oder Einheit zu einer allgemeinen Betrachtung von Totalitäten. Solche bestehen p.df. aus Teilen, doch hängt es von der jeweiligen Art der möglichen Zerlegung ab, was überhaupt als Teil gilt. Dufour entwickelt, wiederum unter kräftiger Heranziehung formaler Methoden, die Bedingungen einer Zerlegung überhaupt. Beschränkt man sich dabei auf die minimalen Bedingungen, so gelangt man zu einer allgemeinen Mereologie; zielt man auf homogene Totalitäten, so lässt sich eine extensionale Mereologie konstruieren. Ersichtlich knüpfen diese Überlegungen verschiedentlich an verwandte Gedankengänge und Versuche der neuesten Zeit an; sie sind auf- grund ihrer kritischen Komponenten wertvolle Beiträge zur philosophischen Diskussion der Gegenwart. Die letzten drei Kapitel (16. Inhärenz und Totalität. — 17. Inhärenz und Akzidens. — 18. Gesetze der Inhärenz) sind diejenigen, aufweiche die ganze Untersuchung als deren Höhepunkt und Fazit hinzielt. Die mereologischen Bedingungen, welche Individuen erfüllen müssen, um in eine Inhärenzbeziehung als „eine einseitige und direkte Seinsabhängigkeit“ eintreten zu können, formuliert Herr Dufour so, dass ein Akzidens „etwas [ist], was in etwas anderem inhäriert, eine Substanz [etwas], was in nichts inhäriert, aber in dem etwas anderes inhärieren kann“ (ibid.). Damit ist die Verbindung sowohl zur Aristotelischen Substanz-Akzidenz-Fassung als auch zu Freges Metapher der gesättigten und ungesättigten Entitäten hergestellt, ohne dass man sich die traditionell damit verbundenen Aporien einhandelt, und ein Vergleich mit den Ansätzen von Bergmann, Castafieda, Fine, Strawson und anderen ermöglicht. Über diese Beschreibung ihrer „Natur“ hinaus widmet sich Herr Dufour sehr ausführlich dem Nachweis des Bestehens von Akzidentien, also der Existenzfrage, die ja in der Tradition und daher auch in der Geschichtsschreibung der philosophischen Strömungen eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Persön- lich scheint mir noch wichtiger der Aufweis der „Funktionen“ von Akzidentien: sie „verleihen [.] ihren Trägem konkrete Eigenschaften“, und sie „bauen [.] komplexere Gegenstände, Inhärenztotalitäten“ auf, in welche die bezüglich ihres Trägers kontingenten Eigenschaften nunmehr „internalisiert“ werden. Dies ist eine sehr pointierte und weitreichende Konzeption, die sicherlich eine inhaltsreiche Diskussion nach sich ziehen, vielleicht sogar Aufsehen in den einschlägigen Forscherkreisen erregen wird. Ähnlich werte ich Dufdurs Überlegungen zu Relationen und relationalen Akzidentien, wobei seine hier noch auf Andeutungen beschränkten Äußerungen zu den Begriffen des Prozesses und der Seinsschichten einen Ausblick auf Implikationen eröffnet, die nicht nur philosophieintern bedeutsam zu werden versprechen (der Aspekt, auf den ich mich in der vorliegenden Stellungnahme beschränkt habe), sondern auch in einzelwissenschaftlichen und disziplinübergreifenden Bereichen, die derzeit ganz überwiegend isoliert oder in Forschungsprojekten mit schwacher wechsel- seitiger Vernetzung Gegenstand von Untersuchungen sind. … ein überaus inhaltsreiches, historisch wie systematisch ungewöhnlich fundiertes Werk, das die Diskussion der Ontologie der Gegenwart unter einheitlichem Gesichtspunkt aufarbeitet und für die ontologischen Fundamentalbegriffe der Eigenschaft und der Inhärenz Klä rungen erzielt, und denen man daher schon jetzt eine weite Verbreitung und eine breite Wirkung wünscht.
Prof. Dr. Christian Thiel Institut für Philosophie
der Universität Erlangen Nürnberg Mai 2004.
- Veröffentlicht am Montag 16. Mai 2005 von Philosophia
- ISBN: 9783884050873
- 444 Seiten
- Genre: 20., 21. Jahrhundert, Hardcover, Philosophie, Softcover