Aufklärung in einer Krisenzeit: Ästhetik, Ethik und Metaphysik bei Theodor W. Adorno

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Ein bedeutender Teil der Philosophie und allgemein der Kultur unserer Zeit ist von einem Gefühl der Unsicherheit und der Vorläufigkeit, des Unbehagens und des Untergangs, der Verwirrung und manchmal auch der Verwüstung, Verzweiflung und des Unglücks charakterisiert. Wenn es ein Wort gibt, das allein einen solchen allgemeinen Zustand zusammenfassen kann, dann ist es vermutlich das Wort „Krise“. Auch wenn man sich nur auf die philosophischen Werke beschränkt, so sind es hunderte an Buchtiteln und Aufsätzen, die im 20. Jahrhundert dem Thema der „Krise der Vernunft“, der „Krise der Zivilisation“, der „Krise der Kultur“, der „Krise der Kunst“, der „Krise des Geistes“, der „Krise der Menschheit“, der „Krise der Geschichte“, der „Krise der grundlegenden Traditionen“, der „Krise der Moral“ oder der „Krise der Religion“ gewidmet sind. Dies gilt übrigens nicht nur für das vergangene Jahrhundert, sondern kann (leider) ebenso gut auf das 21. Jahrhundert angewendet werden: Ein Blick in die Tagespresse, das Hören der Nachrichten oder eine rasche Suche im Internet genügen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, inwiefern „Krise“ zu einem Leitbegriff unserer Zeit geworden ist. Keiner der großen Protagonisten der Philosophie und der Kultur des 20. Jahrhunderts hat sich einer solchen Herausforderung entzogen, und unter ihnen sticht sicher auch der Name von Theodor Wiesengrund Adorno hervor. Für Adorno hat die Krise der Moderne bereits Dimensionen und Tiefen angenommen, die nicht nur den Fortschrittsglauben zur Diskussion stellen, sondern allgemein die Legitimation zum Weiterleben. Wenn die Philosophie Adornos als eine der vielen Ausformungen der „Philosophie der Krise“ oder als „negatives Denken“ unseres Zeitalters interpretiert werden kann, dann muss auch festgestellt werden, dass in ihr der Begriff Aufklärung eine absolut zentrale Rolle gespielt hat. Im Unterschied zu den meisten „Krisenphilosophen“ des 20. Jahrhunderts lastete Adorno nie der Aufklärung und der modernen Kultur als solcher die Verantwortung für die Krise an, in welche die Menschheit geraten war. Wenn überhaupt, so landete auf der Anklagebank die „falsche Aufklärung“, d.h. die perverse Form, welche die Aufklärung Adorno zufolge im Lauf der Geschichte aufgrund ihrer andauernden Verstrickung mit Macht, Herrschaft und Gewalt angenommen hat. Die vorliegende Arbeit besteht in einer Interpretation des Denkens Adornos, die ihren Ausgang im grundlegenden Thema der Dialektik der Aufklärung nimmt, und von dort aus dehnt sie sich auf die Themen Natur und Geschichte, Moralphilosophie und Erkenntnistheorie, Ästhetik und Metaphysik aus. Die Leitidee des Buches ist eben jene, nach der sich im Fall Adornos stets eine interessante Konvergenz eines Aspekts des Philosophierens mit einem anderen zeigt, so zum Beispiel des erkenntnistheoretischen Aspekts mit dem ethischen oder des ästhetischen mit dem metaphysischen.
Zum Autor:

Stefano Marino ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Institut für Wissenschaften der Lebensqualität an der Universität Bologna. Er studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Geschichte an den Universitäten Bologna und Parma. 2008 Promotion an der Universität Bologna. 2009 und 2011 Forschungsaufenthalte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Phänomenologie und die philosophische Hermeneutik, die kritische Theorie der Frankfurter Schule, die Philosophie der Musik und die Ästhetik der Mode. Wichtigste Veröffentlichungen: I sentieri di Zarathustra (Hrsg. mit F. Cattaneo, 2009), Gadamer and the Limits of the Modern Techno-Scientific Civilization (2011), Domandare con Gadamer (Hrsg. mit F. Cattaneo und C. Gentili, 2011), Fusioni di orizzonti. Saggi su estetica e linguaggio in Hans-Georg Gadamer (2012), Filosofia e Popular Music. Da Zappa ai Beach Boys, dai Doors agli U2 (Hrsg. mit D. Ferdori, 2013), La filosofia di Frank Zappa. Un’interpretazione adorniana (2014).