Bloch-Almanach 32/2013

Periodikum des Ernst-Bloch-Archivs der Stadt Ludwigshafen am Rhein

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Am 21. September 2012 wurde in einem Festakt Prof. Dr. Avishai Margalit der Ernst-Bloch-Preis verliehen. In der Begründung der Jury, der Prof. Dr. Martin Seel, Dr. Elisabeth von Thadden und Dr. Klaus Kufeld angehörten, heißt es, dass mit Avishai Margalit ein politischer Philosoph geehrt werde, „der sich in anschaulicher Weise den normativen Spannungen unserer Zeit zuwendet. Die eigene Arbeit innerhalb der israelischen Friedensbewegung bleibt dabei jederzeit präsent. Seine Überlegungen zum Verhältnis von Würde und Gerechtigkeit, zur Ethik der Erinnerung sowie zur Frage eines gerechten Friedens verbinden sich zu einer nüchternen Utopie der erreichbaren besten Möglichkeiten einer menschlichen Gesellschaft.“

Im ersten Teil des diesjährigen Bloch-Almanachs werden die Ansprachen zum Ernst-Bloch-Preis (in den Originalfassungen und in Übersetzung) dokumentiert. Avishai Margalit diskutiert in seiner Rede den Begriff ‚Nostalgie‘ und erläutert dessen Potenzial und dessen Gefahren vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie sehr anschaulich. Er führt dabei die Unterscheidung von guter und schlechter Nostalgie ein. ‚Gute Nostalgie‘ versteht Margalit als „reine Sehnsucht nach einer Heimat“ und sieht auch ‚große Gemeinsamkeiten zwischen restaurativer Nostalgie und Utopie“, während die ‚verzerrende Nostalgie‘ problematisch sei, da eine solcherart verklärte Vergangenheit zur Legitimation von Gewalt missbraucht werden könne.

Die Laudatio wurde von Prof. Dr. Susan Neiman gehalten, die besonders betont, dass Avishai Margalit jemand sei, „der über Anstand und Würde nicht nur schreibt, sondern diese auch in alltäglicher und konkreter Weise praktiziert“. Sie illustriert dies einerseits mit Beispielen aus ihrer Freundschaft mit Margalit und andererseits mit Hinweisen auf dessen Schreib- und Denkstil. Seine Bücher seien durch eine große stilistische Fairness gegenüber seinen Lesern gekennzeichnet, denen er seine Argumente mit größtmöglicher Klarheit präsentiere.

Die Zuerkennung des Ernst-Bloch-Förderpreises 2012 an Dr. Lisa Herzog begründet die Jury wie folgt: „Lisa Herzog gelingt es, die gegenwärtige Krise des Kapitalismus in eine ideengeschichtliche Perspektive zu stellen und dadurch die politische Urteilskraft zu schärfen. Ihre Essays sind so originell, bilderreich und begrifflich präzise, dass sie auf inspirierende Weise den Blick für die Ökonomie als einen Gegenstand der politischen Philosophie und des Handelns von Bürgern neu öffnen.“

In ihrer Rede verbindet Herzog den für Ernst Bloch zentralen Begriff des ‚aufrechten Gangs‘ mit der ökonomischen Theoriebildung in der Folge von Adam Smith. Sie fordert dabei, die wirtschaftlichen Akteure wieder als echte Personen aufzufassen und nicht nur als abstrakte Größen. So könne eine Ökonomie gedacht werden, in der die Würde als festes Element integriert ist.

Der zweite Teil des diesjährigen Bloch-Almanachs ist der Untersuchung gewidmet, in welcher Form, mit welchen Fragen und vermittels welcher Problemstellungen Ernst Bloch bei heutigen Forscherinnen und Forschern präsent ist, die gerade nicht zu den zentralen Themen Blochs arbeiten und die zum größten Teil noch am Beginn ihrer akademischen Karriere stehen. Die Texte wurden chronologisch nach ihren Hauptthemen angeordnet und bieten so einen kleinen Überblick über die Möglichkeiten, wie Bloch heute von einer jungen Generation von Forscherinnen und Forschern gelesen und adaptiert werden könnte.

Gerhard Hanloser untersucht das mittelalterliche Versepos „Tristan und Isolde“ unter der Fragestellung, ob sich dort Elemente der Utopie in Sinne Blochs finden lassen, so wie dies insbesondere von Tomasek behauptet wurde. Speziell im Bereich der minne-Konzepte und beim gesellschaftlichen Umgang mit Liebe und Sexualität liege dies nahe. Hanloser kommt in seiner Analyse allerdings zu dem Schluss, dass Gottfried keine positiven Gegenentwürfe formuliert, zu den von den beiden Liebenden nicht verwirklichbaren Ansprüchen der mittelalterlichen Gesellschaft. Er mache daher zwar sehr wohl auf Unabgegoltenes aufmerksam; konkret utopisch im Sinne Blochs sei dies jedoch nicht.

Niko Baldus untersucht literarische Utopien wie die Staatsromane der frühen Neuzeit und analysiert die Rolle Ernst Blochs für die Rezeption dieser Texte. Er kommt dabei zu der kritischen Einschätzung, dass gerade auch Bloch dazu beigetragen habe, dass literarische Utopien „unter dem Anspruch der Verwirklichung wahrgenommen“ worden seien und dass dies in Bezug auf einen fiktionalen Text ein großes Missverständnis darstelle.

M. Loreto Vilar rekonstruiert die Expressionismusdebatte der späten dreißiger Jahre, in der indirekt das marxistische Realismuskonzept verhandelt wurde. Sie konzentriert sich auf vier Protagonisten: Georg Lukács, Ernst Bloch, Bertolt Brecht und Anna Seghers – und zieht auch Beiträge heran, die damals nicht publiziert wurden. Dabei geht sie insbesondere auf das Spannungsverhältnis ein, das in dieser Zeit zwischen den deutschen Exilintellektuellen bestand, die in die Sowjetunion Stalins geflohen waren, und denen, die sich im Rest der Welt aufhielten. Als eine besonders brisante Paarung wird von ihr die Opposition zwischen Lukács und Bloch literaturhistorisch aufgearbeitet.

Judith Meurer-Bongardt untersucht in ihrer Dissertation „Wo Atlantis am Horizont leuchtet“ die Rolle der Utopie für das Schaffen der finnlandschwedischen Schriftstellerin Hagar Olsson, die in den Zwanzigerjahren eine wichtige Vertreterin des dortigen Modernismus war. Meurer-Bongardt stellt Blochs Utopiebegriff im Allgemeinen dar und nutzt im Speziellen sein Konzept des Vor-Scheins für ihre Analysen einer neurealistischen Literatur, in der ein verändertes Wirklichkeitsverständnis und das utopische Bewusstsein eng verschränkt seien.

Nora Hangel präsentiert das Konzept einer geschichtsphilosophischen Aktualisierung Ernst Blochs. Sie bezieht sich dabei auf aktuelle Untersuchungen zur Selbstregulation der Scientific Community. Diese wird als ein gesellschaftliches System beschrieben, in dem die Tendenz zum Besseren im Sinne einer Dynamik des ‚Noch-Nicht‘ prototypisch zu beobachten sei. Die Selbstverpflichtung der Akteure auf den Leitwert ‚Wahrheit‘ werde aber auch hier durch Störfaktoren unterlaufen.

Catherine Moir ordnet den Blochschen Ansatz eines spekulativen Materialismus in gegenwärtige Debatten eines ‚New Materialism‘ ein – etwa in die des ‚Hyperchaos‘ von Meillassouxs. Sie arbeitet Blochs Aktualität in diesem Punkt heraus, indem sie für problematische und gleichwohl zentrale Punkte der Blochschen Philosophie, wie den der Ontologie der Möglichkeit, produktive Lesarten vorschlägt, die Bloch an die derzeitigen Debatten anschließen.

Der Forschungsbericht von Thilo Götze Regenbogen bildet mit den üblichen bibliografischen Mitteilungen zu Karola und Ernst Bloch den dritten Teil des Almanachs. Götze Regenbogen präsentiert in einer tabellarischen Synopse die Briefbestände zur Korrespondenz von Carlfriedrich Claus mit Ernst und Karola Bloch, die sich im Carlfriedrich Claus-Archiv Chemnitz und im Ernst-Bloch-Archiv Ludwigshafen befinden und erläutert seine langjährige Forschungsarbeiten. Zudem präsentiert er mit seiner Untersuchung des Motivs der ‚leeren Hand‘ ein Beispiel, wie diese Korrespondenz zur Erforschung des Werkes von Claus fruchtbar gemacht werden kann.

Ein besonders herzlicher Dank gebührt an dieser Stelle Frau Kerstin Reibold, deren Mitarbeit bei der Übersetzung der Preisreden und der redaktionellen Betreuung des diesjährigen Almanachs eine überaus große Hilfe war.

Frank Degler, Ludwigshafen am Rhein, August 2013

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