Die unter dem Titel ‚Meeraugen‘ zusammengefasste Kurzprosa von Bettina Obrecht ist von Figuren bevölkert, die weder Namen noch Aussehen besitzen und äußerst selten das Wort ergreifen. Sie sind isoliert, alleine mit sich, mit ihren Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen.
Die Texte handeln von der Liebe. Sie ist dafür verantwortlich, dass zuweilen ein ‚ich’ oder eine ‚sie’ auf einen ‚er’ trifft. Ein solches Zusammentreffen hat jedoch meist einen tragischen Ausgang: ‚Sie sieht ihm zu, er sie nicht an‘ – am Ende steht die Trennung. Die Liebe ist Synonym für Schmerz, Schmerz ist synonym für Liebe und für die Erkenntnis, den ‚Urwaldpfad‘ durch das Leben letztendlich alleine gehen zu müssen.
‚Gläserne Liebende‘ sind die Gestalten in Bettina Obrechts Erzählungen – zerbrechlich und transparent. Sie suchen Schutz hinter Wänden, deren Fenster- und Türöffnungen Bedrohung und Gefahr von außen darstellen. Ihre Transparenz ermöglicht dem sensiblen Erzähler bis auf den Grund der Seele zu blicken. ‚Sie ist wie ein Schiff, aber mit großen Panoramafenstern anstelle der Bullaugen‘.
Die Panoramen, die Bettina Obrecht entwirft, machen deutlich, dass der Blick auf die Dinge stets die Reflexion in sich birgt. Ein Fenster gibt nicht nur den Blick nach draußen frei, sondern ermöglicht auch den Ein-Blick. ‚Sie knipst das Licht über dem Spiegel an. Sie sieht sich an. Sie sieht sich zu‘.
- Veröffentlicht am Dienstag 15. Dezember 1992 von Edition Solitude
- ISBN: 9783929085044
- 60 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählende Literatur