Sibylla Mariana

Roman

von

Entstanden 1917 erlebte dieser Roman bei Samuel Fischer in Berlin bis 1928 siebzehn Auflagen. In „Wissen und Leben“ (Zürich vom 15.11.1917) schreibt Hans Reinhart: „Man braucht wahrlich nicht im Schützengraben und im Trommelfeuer gelegen zu haben, um vom Erlebnis dieses Krieges sprechen zu dürfen. Es ist das wie mit dem Wandel der Jahreszeiten. Wie wenige wissen, was geistig mit der Erde vorgeht, wenn sie in den Dornröschenschlaf des Sommers sinkt und während des Winters, im Scheintod, dennoch lebendig und tätig ist. Man muß zum Geiste vordringen, um solches zu erkennen, und so vermag man einzig nur den gegenwärtigen Krieg zu begreifen und zu deuten.
Zu diesen vereinzelten Sehern möchte man unsern Landsmann Albert Steffen zählen, der seit dem Tage der allgemeinen Rüstung, bis auf den heutigen, auf deutscher Erde stehend, alle Sorgen und Entbehrungen miterlebte und mit erlitt. Wahrlich, reiche Früchte sind vom Baume der Erkenntnis Steffen in den Schoß gefallen. Verwandelt in seinem tiefen Dichtwerk von oft herber, niemals oberflächlicher Schönheit, schenkt er sie seinen Mitmenschen und heute seinen Mitleidenden wieder. Im Zeichen der Gottesmutter, die den Herrn (das Welten-Ich) dem Erdkreis geboren hat, geschah es nun. Den neun Sibyllen des Altertums stellt Steffen eine zehnte: die christliche Sibylla Mariana gegenüber und verleiht ihren Namen seinem 5.Romane. Angesichts der gewaltigen Geschehnisse musste sich sein Schaffen in die Stille und Innerlichkeit versenken; so ist dies jüngste Werk vielleicht noch ärmer an Handlung als die vorigen. Alles rollt in eilenden Bildern dahin, die sich gegen Schluss zu großen Imaginationen verdichten, welche diese unfassbare Zeit geistig wiedergeben. – An vier sich in der Folge findende Freunde von verschiedener ‚Seelenfärbung‘ (einem Deutschen, einem Russen, einem Italiener und einem Engländer; der Franzose fehlt eigentümlicherweise) sehen wir die großen Ereignisse herantreten, die ihre Erkorenen schliesslich – jeden in seiner ihm ziemenden Weise – zum Opfer fordern. Und wiederum ist es – wie in den drei vorangehenden Romanen – eine reine opferfreudige Heldin, die der Gefährten seltsame Geschicke in sich vereinigt, ordnet, klärt und so den Seelen, die gewaltsam durch die Pforte des Todes gestossen wurden, noch im Geistgebiete eine liebende und helfende Führerin bleibt. ‚Von der Liebe aus, die ihr die Pflanzen einflößten, vermochte sie sich auch am sichersten in die Seelen der Abgeschiedenen zu versetzen. Denn diese Art des Liebens gab ihr einerseits die Gewähr, dass sie ihnen mit dem Innerlichsten, das in ihr lebte, entgegentrat. Und anderseits schützte es sie vor dunklen Mächten‘.“