Vorwort
Technikverliebte erkennen Gleisstopfmaschinen, Breitfuß-schienen, Spannklemmen, Schwellenschrauben. Sie wundern sich nicht, so etwas ist schließlich an einem Ort wie diesem zu erwarten. Die Männer in Orange, die da baggern, bohren, teeren, asphaltieren, schrauben, sägen, die kräftig Hand anlegen an Schippen und Hämmer und feinfühlig die Hebel und Computerknöpfchen komplizierter Maschinen bedienen, die alle wundern sich schon lange nicht mehr. Tiefbau ist ihr Beruf.
Rund neun Monate haben die Arbeiten 2016 gedauert, von Frühjahr bis Herbst, es waren harte Zeiten für Anwohner, Geschäftsleute und Besucher des Stadtteils. Anwohner ärgern sich, die Baustelle der U5 in der Eckenheimer Landstraße zu Frankfurt ist groß, laut, unbequem und scheint nie enden zu wollen. Wundert sie freilich nicht, denn das ist immer so, wenn gebaut wird. Nun auch noch Bilder?
Donald Vaughn hat mitgelitten, aber er hat das Wundern nicht verlernt und der Baustelle mit seiner Kamera ein Erstaunen und zuweilen Entzücken entlockt, das wir anderen in unserer etwas einfältigen Verdrossenheit einfach übersehen haben. Der Städter hasst selbstredend Baustellen, sie zwingen ihn zu Umwegen, strapazieren seine Schuhe, kosten seine ewig zu knapp bemessene Zeit und außerdem Benzin, Diesel und was sonst noch im Individualverkehr stinkt. Öffentlich herrscht sowieso Tote Hose auf einer Linie, die in die Jahre gekommen ist und erneuert werden muss. Baustellen sind dem Städter also eine Pest im Straßengewirr, eine ansteckende Krankheit, man weiß, eine Baustelle kommt selten allein. Immerhin ist die Sache heilbar, jedenfalls vorübergehend. Während das Fieber aber tobt, ist der Ärger groß.
Im Fall der Großbaustelle in der Eckenheimer Landstraße, gab es heftiges Murren, Beschwerden bei den Verkehrsbetrieben und giftige Bemerkungen in den Zeitungen darüber, warum es denn wieder mal länger dauert und mehr kostet. Von einer anderen Realität zeugen die Bilder dieses Buches. Sie illustrieren ein modernes Märchen vom Bauen und davon, wie Ordnung aus dem Chaos wird, sich Neues bildet, wie der Mensch schafft. Die Baustelle ist ein Platz, den zu sehen und abzubilden lohnt, er bietet viel, viel mehr als den Verdruss. Die Arbeit rollt in modernen Maschinen an, reißt die alte Oberfläche auf, fräst sie weg wie eine dicke Hornhaut und darunter, im erdigen Muskelfleisch installiert sie frische Adern für Wasser und Gas, darüber dann das Gitter des hellen Betons, aus dem die Schwellen der neuen Strecke geformt sind. Asphalt und Teer, zeitweise bis zur Aushärtung fast behutsam abgedeckt, bilden die neue Haut. Irgendwann rollt auch wieder die Bahn und hält an neu gestalteten Stationen.
Im Blick des Fotografen wandeln sich die Dinge des Tiefbaus vom Fremden und Undurchsichtigen ins heiter Künstlerische. Pfundschwere Schrauben und Klammern zu Hauf bilden eine vom Zufall geformte Skulptur, hinfälliges Elektrogewirr, achtlos zum Schrott aus Rohren geworfen, gerät zum Rätselsymbol der verkabelten Welt. Ein Wie-hing-das-zusammen und Was-bedeutete-es formt sich zu einem rohen Das-kann-weg. Daneben warten schon die neuen Teile, gelackt und ein bisschen eitel wirken sie vor all denen, die ihre Schuldigkeit getan haben und gehen müssen. Sorgsam auf neue Schienen geschichtete Schwellenlager erinnern in ihrer gleichförmigen Masse an die monumentale Regelmäßigkeit antiker Architektur und sind doch nur eine Ansammlung der schlichtesten Bahn-Banalität: Schiene und Schwelle, seit 1825 die Basis, auf der die Welt rollt. Eine Basis ohne Klassenunterschiede übrigens: dieselben Gleiskörper der Regelspur 1435 Millimeter tragen den Intercityexpress mit derselben Zuverlässigkeit von Stadt zu Stadt wie die U-Bahn vom Kietz ins Einkaufszentrum. Die verdiente Achtung wurde den Gleisen nie zuteilt. Die verfasste Bewunderung für die Schönheit von Lokomotiven und Waggons füllt Bibliotheken, da blieb irgendwie kein Platz mehr für Schienen.
Noch mehr solche Aschenbrödel des schönen Lebens sind im Buch. Bei Gelegenheit der Streckenrenovierung und zum barrierefreien Umbau ziehen neue Rohre und Kabel in die Erde unter Gleisen und Fahrbahn, farbig, beinahe zu schön zum Verstecken in der gruftigen Finsternis. Es bleiben, wenn alles fertig ist, allein ein paar Kanaldeckel und Hydrantenkappen sichtbar, gusseiserne Indizien für eine unterirdische Existenz, einer Versorgungs- und Entsorgungsstruktur, von der die Stadt lebt. Die Entdeckung, dass noch zu verbuddelnde Eisenwaren zusammen mit einem Besen einen optischen Witz darstellen, hat uns der Fotograf geschenkt, der manche Ansichten vom Bau als eine gewaltige Kiste voller Legosteine erscheinen lässt. Die Parallele mag kindisch sein, aber sie stimmt schon. Wenn man weiß, wie es geht, wird aus den bunten Einzelteilen eine ganze Welt. Und was heißt schon kindisch? Die Kinder, die auf gehäuftem Sand, aufgetürmter Erde und im herrlichen Matsch ihren Spaß haben, sind dieselben, die mit offener Neugier die Baustelle besuchen. Sie stehen da und gucken in faszinierter Ernsthaftigkeit. Sie stehen vor Rätseln. Niemand kann raten, was sie denken, aber der Verdacht liegt nahe, dass sie mehr sehen in dem Gewirr als bloß Gewirr.
Die Fotos von Donald Vaughn lassen vermuten, er habe sich den Kinderblick bewahrt. Er sieht die Oberfläche und lädt ein, dahinter und darunter und dazwischen noch anderes zu ahnen. Der Ernst der heranrückenden Dinosaurier – der Baumaschinen, kontrastiert mit dem Amüsement eines gerodeten Schilderwaldes mit allen Straßennamen der Gegend, die einzelnen Stämme gestapelt zur gefälligen Wiederverwendung. Die Baustelle ist beides, der Untergang und das Neue, das Wegwerfen und das Bewahren, das Kleine und das Große. Ein tiefschürfendes Symbol oder ganz einfach Tiefbauarbeiten an der Linie U5 in der Eckenheimer Landstraße im Jahr 2016.
Thomas Kirn
- Veröffentlicht am Mittwoch 29. März 2017 von Nordend Verlag
- ISBN: 9783000550850
- 100 Seiten
- Genre: Film, Fotografie, Hardcover, Kunst, Softcover, TV, Video