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Birgit Kidd veröffentlichte ein Update in der Gruppe lit:chat – Wir lesen Anne Reinecke “Leinsee“ vor 6 Jahren, 9 Monaten
Eure Kommentare, Eindrücke, Ideen, Inspirationen, die ihr aus dem ersten Leseabschnitt sammelt, platziert bitte hier.
Wie ist eure Reaktion auf Karl? Verständnis, Abneigung – etwas dazwischen?
Mit der Ausgangssitation geht es für ihn richtig zur Sache. Wie gefällt euch der Einstieg in Karls Geschichte?
Ich finde die ersten Kapitel schon schön und schnell geschrieben. Ich kenne Karl schon ein Bisschen und ich mag ihn. Die Ausgangssituation vergisst man schnell, wenn man weiter liest.
Verzeihe mir bitte meine Rechtschreibefehler?!
Alles bestens. Ganz schön cool, dass du so gut Deutsch kannst!
Karl geht mir nah. So depressiv und nah am Abgrund er zu sein scheint – er wird jetzt schon so tief, sinnlich und detailliert beschrieben, dass es mir schwer fällt, das Buch beiseite zu legen.
Ich mag seine Geruchsempfindlichkeit, seine Sensibilität und sein Einzelgängertum.
Das Vakuumieren hat mich auch fasziniert. Er konserviert Gegenstände und tote Lebewesen, indem er sie einschweißt. Damit werden sie zu Skulpturen, die äußere Hülle, ihre Form ist wichtig und sichtbar aber das Innere ist verborgen. Mit dieser Idee hat Karl Erfolg – aber ob sein eigenes, offensichtlich schmerzhaftes Vakuum wohl noch einen Pikser erleben wird, ich bin gespannt.
Mir erscheint Karl nicht depressiv zu sein. Ich erlebe mit ihm keine gedrückte Stimmung und negative Gedanken. Ich glaube, er ist nur aufgewühlt.
Worin siehst du sein Vakuum? In seiner Gefühlswelt – als Kind, als Mann, als Künstler?
Wie gesagt, habe ich das Vakuumieren des Künstlers als etwas angesehen, das den Inhalt beschützen soll. Karl möchte sich – so sehe ich das – vor den Einflüssen von außen beschützen. Als Kind wurde er früh ins Internat „abgeschoben“. Die Eltern waren ihm keine Stütze. Er mußte selbst Stärke entwickeln. In der Kunst hat er Anerkennung gefunden. Ich meine aber zu erkennen, daß Karl die Kunst, seine eigene Kunst, keinen Spaß mehr macht.
Bezüglich dem Vakuumieren fällt mir noch ein, dass Karl den Dingen die Luft bzw. den Sauerstoff entzieht. Es wird dauerhaft haltbar gemacht. Aber eigentlich wird den Dingen das wichtigste, der Sauerstoff, entzogen. Vielleicht so wie ihm als Kind. Man hat sich um seine Versorgung bzw. um seine Bildung gekümmert, aber das eigentlich, die Liebe der Eltern, hat man ihm entzogen.
Findet ihr das sehr interpretativ?
Ich finde den Einstieg in die Geschichte äußerst gelungen. Karl wird sehr feinfühlig beschrieben, die Bilder, die die Autorin zeichnet, z. B. als er mit dem Zug nach Leinsee fährt, sind einmalig. Ich habe mich wirklich darüber gefreut! Alle Figuren, nicht nur Karl, sondern auch die Eltern, Buddy Holly und später Tanja – sind keine Abziehbilder schon tausendmal kennen“gelesener“ Charaktere, sondern alle sehr eigentümlich und besonders. Ich glaube, ich bin schon jetzt ein großer Fan Ihrer Geschichten und Ihrer Schreibe, @anne reinecke, und hoffe, dass der nächste Roman nicht allzu lange auf sich warten lässt. Aber jetzt erst einmal weiterlesen. Ich brenne darauf!
Ach ja, eine Sache noch: Mir kommt Karl viel älter vor als 26 Jahre. Ich sehe irgendwie immer einen mindestens 35Jährigen vor mir. Aber natürlich kann jemand mit so einer Geschichte (Internat,
berühmte Künstlereltern, ältere Freundin) reifer wirken als seine Altersgenossen.
Für mich ist Karl auch älter. Vielleicht sogar so um die Mitte vierzig.
Buddy Holly kann ich genau vor mir stehen sehen. So ein „Lackaffe“. Meine Meinung von ihm, deckt sich mit der von Karl.
Liebe Angela, es fällt mir schwer, deine Frage zu beantworten. Etwas in mir sträubt sich sehr dagegen. Natürlich habe ich meine eigene Interpretation zu Karls Vakuumkunst. Und natürlich habe ich auch meine Gründe gehabt, ihm genau diese Arbeitsweise anzudichten. Aber ich habe eben auch gute Gründe, manches im Buch nicht zu erklären. Es soll genug Platz bleiben, den die Leserinnen und Leser mit eigenen Gedanken füllen können (oder müssen). Ich möchte dem Roman keine Erklärung hinzufügen, denn dann nähme ich diesen Platz weg. Aber ich will dich auch nicht ohne Antwort stehen lassen. Also versuche ich es, ganz behutsam, indem ich zwei Stellen aus dem Buch zitiere:
„Manchmal hatte er es nicht ausgehalten, die Dinge wieder zurückzulegen. Was er zurücklegte, würde früher oder später zerhackt oder zermahlen werden und im Harz enden. Eine Brosche mit roten Steinen, eine Feder, einen Brautschleier, ein Vogelei, manche Sachen hatte er gestohlen und versteckt. Er hatte gewusst, dass das falsch war und gegen die Kunst, er hatte sich geschämt dafür, aber er hatte nicht anders gekonnt.“ (Seite 24)
„Später zeichnete er isolierte Gegenstände, die ihm gefielen und die er festhalten wollte. Was er da machte, war eher ein Dingesammeln als Kunst, wenn er ehrlich war (…) irgendwann kam er auf die Idee, eine Vakuummaschine zu benutzen, um Gegenstände seiner Sammlung isoliert zu verpacken. Ihm gefielen die Formen, die dabei entstanden: Die Dinge waren versteckt und von ihrer Umgebung getrennt, aber trotzdem durch ihren Umriss sichtbar.“ (Seite 50-51)
Ich finde den Anfang schon mal sehr vielversprechend. Der Roman lässt sich wirklich gut lesen, die Sprache ist toll. Manchmal geht es vielleicht etwas zu schnell.
Ich muss @diepassantin auch zu stimmen, dass die Charaktere wirklich einzigartig sind.
Die Bezeichnung der Kapitel mit Farbennamen gefällt mir.
Ich habe mich gut in die Geschichte eingefunden. Der Text ist flüssig zu lesen, der Schreibstil gefällt mir auch gut.
Der Junge Karl tut mir schrecklich leid. Wie kann man so wenig Gespühr für die Befindlichkeiten eines Kindes haben? Schicken den armen Jungen in ein Internat und ich befüchte die Eltern meinen auch noch, dass sie ihrem Kind etwas Gutes tun. Aaahhh!
Zuerst, auch ich finde die Idee Kapitel nach Farben zu benennen ganz großartig! Mit Farben verbindet man immer etwas was man mit Zahlen nicht schafft. Zudem passt es natürlich auch zu einem Künstler wie Karl.
Ihn finde ich wunderbar beschrieben. Insgesamt fühle ich mich den Menschen nah, was für mich ein gutes Buch zu einem großen Teil ausmacht.