Dominik Steiger hatte sich – nach ersten Büchern bei Suhrkamp in den 60ern – längere Zeit von der Literatur zurückgezogen, er veröffentlichte in nahezu unauffindbaren Verlagen, er erfand ein eigenes Zeichensystem, die ›Knöchelchen‹, in den Biometrischen Texten auch eine eigene Sprache; in den Büchern sind seine Bilder gerne unter den Umschlägen versteckt oder auf der Innenseite der Klappen verborgen.
Verbergen und herzeigen – in dieser Spannung stehen auch die Notate im jüngsten Steiger-Buch. Mit unvergleichlicher Leichtigkeit bewegt sich der Autor durch die unterschiedlichsten Texte und Sprechweisen (oder, in diesem Fall vielleicht wirklich, umgekehrt: die Texte und Sprechweisen durch den Autor?), lässt sich weder durch Versprecher noch durch Verschreiber, weder durch Fehlleistungen noch durch den Sog der automatischen Wortproduktion von seinem Weg abbringen. Seine Einfälle sind liebenswürdig und charmant, Witz, Bildung und Mut zur Freiheit stehen ihm allzeit zur Verfügung, und sogar seine künstlerische Strenge äußert sich verspielt und scherzhaft (siehe die lautliche Permutation, denen Steiger den verborgenen Titel seiner Bücher Band für Band unterzieht). Wenn das Wort vom Künstler als Originalgenie überhaupt noch einen Sinn hat, dann bei dieser singulären Erscheinung.
Dieser Autor schreibt zweifellos rätselhafte und ganz und gar unübliche Texte. Aber er macht es dem Leser im selben Moment auch leicht, in das Verfahren ihrer Herstellung einzudringen und eine Ahnung von der Wirkungsweise von Kunst zu erlangen – halb versteckt und in Wortspielen und Gedankenblitzen sich offenbarend, wie der Sinn sich im Traum offenbart: undurchschaubar und einleuchtend gleichzeitig.
- Veröffentlicht am Montag 2. August 2004 von Droschl, M
- ISBN: 9783854206699
- 72 Seiten
- Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur (ab 1945)