Aeolia.Gesang

Wiener Ausgabe. Lektorat von Elvira M. Gross.

Um den seit antiker Zeit tätigen Vulkan Stromboli ranken sich von jeher Legenden. Noch heute dient der im Norden Siziliens mitten im Meer gelegene Berg als natürlicher Leuchtturm. Göttervater Zeus, so heißt es, habe über die dort die See durchstürmenden Winde den unberechenbaren Eolis als Herrscher eingesetzt. Daher der Name des äolischen Archipels, dem Homer den zwölften Gesang seiner Odyssee widmet. Gefahr ist aber auch Lockung. So legte im Jahr 2000 ein deutscher Reisender am Krater seine Brieftasche ab, und seine Brille, und sprang in den Tod – eine seltsam reale Neugeburt der sizilischen Sage um das Ende des antiken Philosophen Empedokles.

Beide Erzählungen nimmt Alban Nikolai Herbsts Langgedicht auf und erfindet dabei dem Vulkan eine nächste alte Legende. Dafür brachte er im April 2007, während eines ungewöhnlich heftigen Ausbruchs, vor Ort seine Eindrücke und erste Versskizzen zu Papier. Ein Jahr später erschien der Text als limitierter, schnell vergriffener Katalog-Privatdruck einer Bielefelder Galerie. Auf den Buchmarkt kam er nie.

Die neue »Wiener Ausgabe« verdichtet die ineinanderfließenden Gedichte noch einmal: Dabei durchläuft Aeolia d ie Formen der poetischen Metrik von antiken über klassische bis zu freien modernen Versmaßen, in deren Zentrum das im 13. Jahrhundert auf Sizilien entstandene, ebenfalls immer wieder variierte Sonett steht. So sind dieses Buch zeitgenössische Metamorphosen, aus deren Mythos wie Mythen nachlauschenden Improvisationen auch das aeolisch genannte Versmaß der großen Liebesdichterin Sappho neu herausklingt. Es läßt sich als eine Meditation über Liebe und Natur lesen, über Liebe und Tod und Geburt. Aeolia.Gesang ist eine große Hommage auf die Terra di dio – wie der Spielfilm heißt, den das bis heute berühmteste Liebespaar der Insel, Ingrid Bergmann und Roberto Rosselini, dort im Jahr 1948 gedreht hat: Und logierte drin kein Gast mehr, der so liebte.