Nachwort
„Viele behaupteten, dass Blok, in dessen Venen von Vaters Seite her deutsches Blut floss, mehr Deutscher als Russe war, ein deutscher Romantiker, der sich nach Russland verirrt hatte.“ Es erstaunt wenig, wenn Georges Nivat in seinem erhellenden Aufsatz über Alexander Blok (1880-1921) gleich zu Beginn das deutsche, das romantische Element in den Fokus seiner Ausführungen stellt. Besonders wichtig erscheint hier Bloks Liebe zu Heine, den er übersetzt hat. Bloks frühe Lyrik (von „Ante lucem“ über „Die Verse von der Schönen Dame“ bis zu „Kreuzwege“, mit Gedichten aus den Jahren 1897-1904) ist noch sehr der Spätromantik verhaftet. Tjutschew, Polon-
skij, Fet, aber auch der Begründer der romantischen Lyrik in Russland, Lermontow, den Blok zeitlebens verehrt hat, sind seine russischen Vorbilder. Zu ihnen gesellt sich der Lothringer Paul Verlaine, der deutscheste aller französischen Dichter.
Schon früh hat Blok in Deutschland geweilt. 1897 begab er sich mit seiner oft leidenden Mutter ins Harzbad Nauheim, wo es ihm ausnehmend gut gefiel. Deutschland sagte ihm von allen Ländern (Blok war viel auf Reisen) am meisten zu – und die deutsche Musik, vorab Wagner, war ihm besonders lieb. Seine frühesten Liebesgedichte galten einer südrussischen Dame, die er in Nauheim kennengelernt und in die er sich mit der „von Idealismus gesättigten Leidenschaft eines Knaben“ (Johannes von Guenther) verliebt
hatte. Seine wahre Liebe, wie neuerliche Veröffentlichungen feststellen, galt aber zeitlebens seiner Mutter – und es ist wahrscheinlich, dass seine Mutter, zu der er bis zuletzt ein fast symbiotisches Verhältnis gehabt hat, ebenso als Adressatin der Gedichte an die „Schöne Dame“ in Frage kommt wie seine langjährige Verlobte und spätere Frau Ljubow (die Ehe wurde übrigens erst Monate nach der Hochzeit vollzogen). In diese „Verse von der Schönen Dame“ – der Titel stammt von Brjussow, einem der frühen Symbolisten Russlands – ist meines Erachtens zu viel hineininterpretiert worden; das Ewig Weibliche, die Sophia, die Gottesmutter, oder alle miteinander, wurden bemüht, um diese Gedichte, die sich mehr vom klanglichen als vom semantischen Element her erklären lassen, zu deuten.
„Über Bloks Poetik zu sprechen“ – so Efim Etkind – „ist schwer, wegen ihres gleichzeitig organischen als auch widersprüchlichen Charakters; und es fällt auch schwer wegen der Verachtung, mit der sich Blok über seine zukünftigen Exegeten aussprach.“
Etkind zitiert dabei eine Gedichtstrophe aus dem Jahr 1908:
Welch tristes Geschick, so mühsam,
So schwer und so ruhmreich zu leben –
Um einem Dozenten, der rührsam
In deinen Werken wühlt, Arbeit zu geben.
Über Bloks Lyrik ist viel Kompliziertes und auch das Gegenteil davon gesagt worden. Sie kann aber nur verstanden werden, wenn man sie zuallererst von ihrem klanglichen Aufbau her analysiert, von ihrer Musikalität her, von den Reimen und Alliterationen, den dunklen oder hellen Vokalketten. Die Entstehung des Inhalts ist oft lautbedingt, zufällig. Ein Wort wird gewählt, weil es in den Reim passt, weil es eine klangliche Verbindung erlaubt. Deshalb ist Blok-Übersetzen eine äußerst gewagte und riskante Angelegenheit. Wer sich allein auf den Wortlaut (auch unter Einhaltung der Versform) abstützt, ist zum Scheitern verurteilt. Das zeigt anschaulich eine in der DDR entstandene, repräsentative Lyrikauswahl (Herausgeber: Fritz Mierau; auch in Westdeutschland verlegt). Da haben Dichter wie Rainer und Sarah Kisch, wie Stasi-Spitzel Uwe Berger und viele andere, meist des Russischen nicht mächtig, aufgrund von Interlinearübersetzungen „Nachdichtungen“ angefertigt, die es mit den Proben von Nur-Übersetzern in Sachen Stimmigkeit und Klangtreue in der Regel nicht aufnehmen können. Aus den deutschen Übertragungen von Reinhold von Walter, Johannes von Guenther, von Adrian Wanner und etlichen anderen Übersetzern, auch denjenigen von Paul Celan (die ein Kapitel für sich darstellen) liest man eine intensive, besonders auch klangliche Auseinandersetzung mit dem Original heraus,
während die Übersetzungen in der Mierau-Ausgabe oft papieren wirken. Der Wortbedeutung wird da zu viel Wert beigemessen, was sich oft in Verrenkungen der Syntax und im Nicht-Einhalten des Versmaßes auswirkt. Manchmal wird auch ein überhöhter Ton angeschlagen, welcher der Schlichtheit und Unmittelbarkeit der Originale nicht entspricht.
Deutschland hat also Bloks Liebe erwidert. In bisher mehr als zwanzig Einzelpublikationen haben sich rund ein Dutzend Übersetzer an Blok versucht. Wenn man die verstreuten Veröffentlichungen, Anthologien und Sammelwerke hinzuzählt, sind es weitere zwanzig Übersetzer, denen man deutsche Blok-Übersetzungen verdankt. Es gibt keinen russischen Dichter der Moderne, der so oft und mit so viel Hingabe in Deutschland übersetzt wurde. Trotz allem symbolistischem Beiwerk – Blok gilt zurecht als ein Symbolist, viele erachten ihn als den bedeutendsten russischen Symbolisten – ist Blok ein in Deutschland verliebter Romantiker geblieben, der sich aber auch die teils mystische, teils apokalyptische Philosophie von Wladimir Solowjow angeeignet hatte. Heine stand ihm näher als die gesamte symbolistische Dichtung in Russland, dies vor allem in seinen frühen Gedichten, von denen hier eine kleine Auswahl vorgestellt wird.
Christoph Ferber
- Veröffentlicht am Donnerstag 11. Juni 2020 von Buchlabor
- ISBN: 9783929693737
- 60 Seiten
- Genre: Belletristik, Lyrik