Wernstein am Inn, Ober Österr.
25. 11. 12.
Sehr geehrter Herr College
[…] Würden Sie wohl darauf eingehen wenn ich Ihnen hier den Vorschlag mache je eine Arbeit von uns zu
tauschen?
– ich bitte um eine Zeile ob ich Ihnen dann ein paar Sachen zur Auswahl senden darf, – Behalten Sie
dann was Ihnen gefällt und legen Sie mir irgend eine Zeichnung von Ihnen, – etwa eine ramponierte Lokomotive
oder ein altes Gebäu[de] –, ich finde alles wunderschön und interessant, – bei der Retoursendung bei. –
Mit freundlichen [sic] kollegialem Gruß bin ich Ihr sehr ergebener
Alfred Kubin
Alfred Kubin war nicht nur ein begnadeter Zeichner und Illustrator,
sondern auch ein leidenschaftlicher Kunstsammler. Durch
Tausch, Schenkung oder Kauf hat er eine umfassende und vielseitige
Privatsammlung von Handzeichnungen und Druckgrafiken
aufgebaut. Den eingangs zitierten Brief an „den sehr geehrten
Herrn Collegen“ hat Alfred Kubin an den einige Jahre jüngeren
amerikanischen Künstler Lyonel Feininger
gerichtet, der nahe
Berlin lebte. Auf diese Weise hat er mit zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten
seiner Zeit, deren Wirken ihn interessierte
und deren OEuvre er schätzte, brieflich Kontakt aufgenommen.
Erkannte er in den Künstlern eine gewisse Seelenverwandtschaft,
so versuchte er einen Bildertausch zu initiieren.
Das Briefeschreiben war für Kubin eine ideale Möglichkeit, mit
der Kunst- und Geisteswelt Europas in Kontakt zu treten, lebte er
doch seit 1906 recht abgeschieden von der Außenwelt in Zwickledt,
einem kleinen Dorf nahe der Grenze von Oberösterreich zu
Bayern. Sein Domizil, das er symbolisch seine „Arche“ nannte,
verließ Kubin nur selten. Die weite Welt holte er neben seiner
intensiven Korrespondenz vor allem in Form von Kunstwerken
und Büchern zu sich nach Hause. In der Abgeschiedenheit seines
Daseins boten ihm diese Sammlungen Freude und Inspiration
und waren fruchtbarer Nährboden für sein eigenes künstlerisches
Schaffen.
Über 5.000 Bücher hat Alfred Kubin zeit seines Lebens gesammelt,
seine Kunstkollektion umfasst rund 1.700 Blätter, darunter
bedeutende Werke von Zeitgenossen, aber auch wertvolle
grafische Originale und Drucke der alten Meister und der ostasiatischen
Kunst. Bei Alfred Kubin lässt sich die im aktuellen
Sammlerdiskurs vielzitierte Analogie von Sammler und Sammlung
erkennen, denn seine Persönlichkeit spiegelt sich nicht nur
in seinem eigenen Werk, sondern auch in seiner Kunstsammlung
wider. Eine Sammlung ist „Grund, Subjekt einer Leidenschaft“,
schreibt Jean Baudrillard in seinem Buch Das System der Dinge.
Und er ist überzeugt, dass jedes Stück einer Sammlung dazu
dient, stellvertretend für den Sammler zu stehen, „denn im Endergebnis
sammelt man immer nur sich selbst“. Auf diese Weise
kann eine Sammlung für Außenstehende zum Spiegelbild des
Sammlers werden. „Zeige mir Deine Sammlung und ich sage Dir,
wer Du bist“, merkt Heinrich Heil dazu an und stellt fest, dass
jedes Stück einer Sammlung bereitwillig über seinen Eigentümer
Auskunft geben kann und sich diese Überzeugung in jeder
Sammlerbiografie einlösen lässt. Auch für Heinz-Norbert Jocks
unterscheidet sich der Blick auf eine Kunstsammlung nicht von
dem heimlichen Blick, „den man in eine private Bibliothek wirft,
die Aufschlüsse über die inneren Reisen, Gedanken und Bedürfnisse
des Buchsammlers liefert“.
Dr.in Gerda Ridler
- Veröffentlicht am Freitag 23. Oktober 2015 von Bibliothek der Provinz
- ISBN: 9783990285121
- 200 Seiten
- Genre: Hardcover, Kunst, Softcover