‚Sonntags gab es oft Wiener Schnitzel. Einen Kühlschrank gab es damals noch nicht, nur einen Speiseschrank. Meine Oma ließ auch das Bratfett selbst aus, was sehr unangenehm roch. Das Fleisch bestellten wir bei einem Metzger aus Ehringshausen, aber immer am Stück. Oma schnitt sich das Fleisch lieber selber. Sonst war es ihr nicht recht. Der Rest des Fleisches wurde in einer Fleischmühle gemahlen. Das ergab mit Weißbrot zusammen ›Faschiertes‹. Man briet es in einer ›Castrol‹. Zu den Schnitzeln gab es Stampfkartoffeln. Sie waren so ähnlich wie Kartoffelbrei, nur nicht so fein. In die leere Schnitzelpfanne kamen die Stampfkartoffeln hinein und das restliche Bratfett wurde von ihnen aufgenommen. Die Woche über aßen wir einfacher und fleischlos. Innereien, die es auch hin und wieder gab, waren nicht so mein Fall, aber ich musste damals alles essen. Etwas stehen zu lassen oder gar wegzuwerfen war eine große Sünde.
Da meine Tante in der Molkerei arbeitete, brachte sie im Sommer in einer Kanne oft Buttermilch mit nach Hause. Oma hatte dann schon die Kartoffeln gestampft und gebratene Zwiebeln hineingerührt. Das war ein Festessen für uns. Wenn es uns besonders gut schmeckte, sagte meine Großmutter: ›So geht es uns reichen Leuten, aber – wie mag es den armen Leuten gehen?‹ Ich nickte dann und ich kam mir sehr, sehr reich vor.‘
- Veröffentlicht am Samstag 9. November 2024 von edition fischer
- ISBN: 9783899505344
- 160 Seiten
- Genre: Belletristik, Gegenwartsliteratur (ab 1945)