Alte Wohnsitze

Gedichte

von ,

Fast vierzig Jahre galt der Dichter Ivan Blatný in der tschechischen Öffentlichkeit als verschollen. Nach der kommunistischen Machtübernahme (1948) kehrte er von einem Stipendienaufenthalt in England nicht mehr zurück und lebte dort, aus Angst vor Verfolgung, vereinsamt in einer Nervenheilanstalt. Nur der Aufmerksamkeit einer Krankenschwester ist es zu danken, dass nicht alle seiner in der Anstalt verfassten Gedichte im Mülleimer verschwanden, sondern zwei bedeutende Sammlungen – „Stará bydliště“ (Alte Wohnsitze) und „Pomocná škola Bixley“ („Hilfsschule Bixley“) – im tschechischen Exilverlag Sixtyeight-Publishers in Toronto erscheinen konnten. Als sein Werk nach 1989 auch in der Tschechoslowakei neu entdeckt wurde, kam dies einer literarischen Sensation gleich.

In den Gedichten aus „Alte Wohnsitze“ schlägt der in England gestrandete Blatný einen Bogen zwischen seinem Leben in der Nervenheilanstalt und dem der frühen Jahre, zwischen seinen neuen und alten Wohnsitzen, den englischen Stadtlandschaften und der Umgebung Brünns: ein subtiles Porträt des Dichters auf der Suche nach der gegenwärtigen Zeit zwischen Klinik und Gedächtnis. Die Nostalgie, Trauer und das Heimweh dessen, dem als letzter Zufluchtsort nur die Sprache blieb, spiegelt sich in den zerbrechlichen Bildern, zugleich aber belegen die Gedichte die Unversehrtheit, Kontinuität und vor allem Authentizität eines inneren Lebens, das in all seinen bedeutenden Momenten erhalten bleibt.