Anna Seghers ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen, wenn nicht die bedeutendste. Mit ihrem langen Leben und umfangreichen Werk begleitete sie das nun vergangene, erschütternde Jahrhundert mithandelnd, mitirrend, mitleidend. Schreiben war für sie handeln, in einer Weise und mit einer Selbstverständlichkeit, die heute nicht mehr möglich sind. Aus dieser Überzeugung heraus entstand manches, was, wie ich denke und hoffe, bleiben wird, und manches, was sie selbst schon zu ihren Lebzeiten vergaß und vergessen wollte. Schreiben war aber auch für sie Selbstverständigung und wurde es im Alter über den Enttäuschungen, die die historische Entwicklung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg brachte, immer mehr. Und es war Selbstinszenierung. Seghers schuf sich mit und in ihren literarischen Texten neu und bestand auf deren Priorität über dem äußeren Leben: „Die Erlebnisse und die Anschauungen eines Schriftstellers, glaube ich, werden am allerklarsten aus seinem Werk, auch ohne spezielle Biographie“, erklärte sie Christa Wolf gegenüber in einem bekannten, oft wiederholten Zitat. Es ist ernst zu nehmen, besonders, weil es aus einer Zeit stammt, in der sie zunehmend durch literarisches Erzählen sagen wollte, was sie im politischen und kulturpolitischen Diskurs der DDR nicht einbringen konnte oder wollte.
Aus dem Vorwort von Christiane Zehl Romero
Anna Seghers war in ihrem Heimatland eine Außenseiterin, als sie 1947 aus dem Exil in Mexiko zurückkehrte. Und sie blieb es bis zu ihrem Tode: im Osten wie im Westen. Sie wollte zu einem Neuanfang in Deutschland beitragen, doch die zunehmende Frontenbildung in Politik und Kultur enttäuschte und desorientierte sie stärker als bisher angenommen. Sie, die Frau mit den Wurzeln am Rhein, Kindern in Paris, dem Mann in Mexiko, Freunden und Verwandten in aller Welt, hatte Verbindung, nicht Trennung erwartet. Hoffnung und Pflichtgefühl banden sie gleichermaßen an das innerlich wie äußerlich zerstörte Land. Ihr Engagement für den neuen gesellschaftlichen Entwurf, den sie von der DDR erwartete, stand bei ihr nie zur Debatte. Doch ihr gewöhnlich nüchterner Blick und ihre stets präsente Skepsis ließen sie tiefer sehen und mehr fürchten, als sie vordergründig sagen konnte und wollte. Sie setzte auf Geduld und Zeit. So war und blieb sie eine wichtige Stimme der Mäßigung gegen Reglementierung von Literatur und Kunst, oft zu leise und um Vermittlung bemüht. Aber sie hoffte darauf, daß ihre literarischen Texte sprechen würden, wo sie schwieg. Ob mit Recht und für welchen Preis, ist eine der wichtigsten und schwierigsten Fragen, die sich Christiane Zehl Romero in diesem 2. Band ihrer Seghers-Biographie stellt. Sie stützt sich auf neues, noch nicht ausgewertetes Material wie Briefe, unveröffentlichte Texte, Arbeitskalender, Kader- und Stasiakten. Ihre behutsam und akribisch recherchierte Analyse bietet neue, überraschende Einblicke in die faszinierende zweite Lebenshälfte der Anna Seghers.
„Auch wenn die Biographin nicht alles erklären kann, ist ihr Buch auf weiten Strecken spannend zu lesen. Die Rätsel tragen vielleicht sogar zur Teilnahme bei, mit der man diesem Leben folgt.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung
- Veröffentlicht am Samstag 1. März 2003 von Aufbau Verlag
- ISBN: 9783351034979
- 479 Seiten
- Genre: Autobiographien, Biographien, Kunst, Literatur, Sachbücher