Aus der Vorrede des Schauspieldirektors:
»Es ist schon so: Im allgemeinen nehmen sich die Menschen recht wichtig. Und Herr Leopold zählte zu jenen, die sich besonders wichtig nehmen. Das hatte auch seinen guten Grund, wie er meinte: Von Herkunft ein Preuße, aus gutsituierter Gelehrtenfamilie stammend, die sich von jeher der humanistischen Bildung verschrieben hatte.
So war auch Leopold gewissermaßen als nachgeborener Philhellene in seiner Heimatstadt am Neckar aufgewachsen. Die Neigung trieb ihn zum Studium der Tempel und Bildwerke Altgriechenlands. Er wuchs rasch in die universitäre Laufbahn eines angehenden Professors hinein und wurde schließlich binnen weniger Jahre Ordinarius für klassische Archäologie an einer der ehrwürdigsten Universitäten des Landes.
Er hatte geheiratet, fast, möchte man sagen, wie sich’s für einen Archäologen geziemt: eine Griechin, namens Costanza, Mitglied der aus Mykonos stammenden erfolgreichen Reederfamilie Kalandreou. Ein einziger Sohn entsprang dieser Verbindung.
Leopold, der Anspielungen und Vergleiche liebte, nannte ihn ›Apollodor‹, da dieser Name seine Vorstellung beflügelte, der strahlendste aller Götter könne das Seine hinzugewirkt haben, als er Costanza begattete. Auch, daß ein Rivale des Malers Zeuxis, ein gewisser Apollodoros aus Athen, mit dem Beinamen ›Ho Skiagráphos‹, einst den Schatten in der Malerei erfunden habe wie es heißt, kam seiner Vorstellung entgegen: »Kein Licht ohne Schatten«, pflegte er zu sagen. Und so nahm er auch seines Sohnes körperliche Behinderung, die sich bereits in dessen Knabenjahren zeigte, gelassen als gottgegeben hin.
Nicht so Costanza …«
- Veröffentlicht am Freitag 3. Februar 2017 von Fischer, Karin
- ISBN: 9783842244672
- 86 Seiten
- Genre: Belletristik, Dramatik