ARCH+ 191/192 – Schwellenatlas

Vom Abfallzerkleinerer bis Zeitmaschine

Der vorliegende „Schwellenatlas“ ist – in inhaltlicher und ironischer Abgrenzung zum üblichen Genre bautechnischer Kompendien – endlich das umfassende Handbuch zur gebrauchsorientierten, jedoch kulturell und geschichtlich reflektierten Gestaltung von baulichen Ein-, Aus-, Durch- und Übergängen. Wann wird bei Entwurfsentscheidungen schon je in Betracht gezogen, wie ein automatischer Türschließer seine Nutzer diszipliniert, wie biometrische Zugangskontrolle den Körper fragmentiert oder was Spiegelglas über den Spätkapitalismus aussagt? Dabei verrät eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen konkreter architektonischer Bauteile und technischer Gegenstände einiges über die Konventionen und Bedingungen gegenwärtigen Bauens.

Ausgangspunkt dieser Ausgabe ist eine Reihe von Forschungsseminaren über Mikroarchitekturen des Öffnens und Schließens, die an der Assistenzprofessur für Architekturtheorie am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich stattfanden. Mit einem interdisziplinären Ansatz, der aktuelle Untersuchungen zur anonymen Architektur mit Fragestellungen der Technik- und Kulturgeschichte verbindet, richteten die Seminare einen differenzierten Blick auf die Objekte der gebauten Umwelt und ihre Entstehungsgeschichte. Im vorliegenden Heft wird diese Recherche weiterentwickelt und zugespitzt: Ausgehend von spezifischen Bauteilen und technischen Apparaturen der Schwelle nehmen die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Diskursfelder des Übergangs in den Blick, die das Verhältnis zwischen Innen und Außen gedanklich fassen und gleichzeitig die architektonische Praxis mitbestimmen. Das Heft widmet sich der Frage, welchem Wandel die Konstruktion und Bedeutung baulicher Schwellen unterliegen und wie sich Raumauffassungen damit verändern.

Die Beiträge sind alphabetisch geordnet. Ein Glossar erzählt Episoden der Technik- und Kulturgeschichte von 45 Schwellenelementen, die auf ihre Relevanz für die aktuelle architektonische und räumliche Praxis befragt werden. Für zehn Elemente trugen Autorinnen und Autoren verschiedener Disziplinen vertiefende Essays bei. Diese spannen den Bogen vom automatischen Türschließer über Drehtür, Fahrstuhl, Fenster, Jalousie, Körper-Scanner, Müllschlucker, Spiegelglas, Strichcode bis hin zum Telefon. Sie reflektieren die Zusammenhänge zwischen Architektur, Technik, sozialen und kulturellen Bedingungen und fragen damit nach dem Stellenwert von Diskursen über Privatheit, Hygiene oder Sicherheit für die Architektur. Interviews zeigen auf, wie unterschiedlich die Schwelle in den Kulturwissenschaften und in der architektonischen Praxis gedacht wird. Die Bildtafeln des Glossars dokumentieren an Schwellen generierte visuelle Informationen, Anweisungen für den Gebrauch, sowie bauliche Abwandlungen und Umdeutungen von Öffnungen.