Er möchte perfekt sein. Mehr als perfekt. Um sich das zu beweisen, spricht er auf der Heimfahrt von der Arbeit während Monaten in sein Diktaphon, erklärt sich seinen Alltag, sich selbst.
Es ist etwas vorgefallen, was eine gefährliche Wunde in sein Selbstbewusstsein geschlagen hat. Jemand hat ihn im Supermarkt als »armes Schwein« bezeichnet, und zwar in einem Tonfall, der »die Brutalität einer unumstösslichen Tatsache hatte«, wie er feststellen muss. Da ist nun also Selbstverteidigung angesagt, und der gibt er sich hin. Der Mann ist Bibliothekar. In leitender Stellung. Er kann auch auf sein Bildungsgut zurückgreifen, zur Verteidigung, und das tut er gern. Doch ach: In einem gewissen Sinn wird dieses ganze Unternehmen zum Gegenteil dessen, was der Sprecher bezweckt. Die Rechtfertigung wird zur Blossstellung. Hinter den Tugenden, die er sich zuschreibt, tritt seine Feigheit, seine Unsicherheit, sein manchmal niederträchtiges Lavieren zutage, wahrhaftig: das »arme Schwein«. Und wie in einem Spiegel, der uns das eigene Bild mehrfach vergrössert zurückwirft, müssen wir –lesenderweise – immer wieder überlegen: Sind wir frei von den Gemütsregungen und Strategien, die uns Michel Layaz’ Ich-Erzähler hier so freimütig schildert? So ganz fremd, so ganz anders als wir alle ist es leider nicht, dieses arme Schwein.
- Veröffentlicht am Mittwoch 30. November 2016 von brotsuppe
- ISBN: 9783905689631
- 136 Seiten
- Genre: Belletristik, Erzählende Literatur