Azimut

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Es gibt viele Wege nach Europa. Der gefährlichste führt über das Meer. Für seine Arbeit „Azimut“ ist Raul Walch an Europas südliche Peripherie gereist; in das Zentrum der größten humanitären Katastrophe unserer Gegenwart. Azimut ist der Versuch, künstlerische Zeitgenossenschaft neu zu denken. Es ist eine Anwesenheit, die nicht kommentiert und bewertet, sondern Perspektiven erweitert, die teilnimmt und produziert. Azimut ist politisch, erzählend und voller Poesie. Es berichtet nicht von den Menschen, es hört ihnen zu.

Im Winter 2015 reist Raul Walch nach Lesbos. Es ist der erste von einer Reihe von Besuchen und der Beginn von Azimut. In der Nautik bezeichnet das arabische Wort den Sollkurs vom Ausgangspunkt zum Ziel. In der Navigation ist der Norden Bezugspunkt. Für die Menschen, die den Weg über das Meer wählen, ist der Norden Hoffnung und Schrecken zugleich. In seiner künstlerischen Arbeit hat sich Raul Walch immer wieder mit den globalen Migrationsströmen befasst – deren Materialität untersucht und dekonstruiert.

Als Schüler von Ólafur Elíasson am Institut für Raumexperimente hat er einen offenen Kunstbegriff entwickelt. Die Frage, ob aus einer künstlerischen Idee ein Produkt werden kann, beschäftigt ihn dabei unentwegt. In Azimut geht er noch einen Schritt weiter: Kann eine künstlerische Idee Leben retten? Aus zurückgelassenen Zeltplanen hat er farbenfrohe Drachen geschaffen. Die temporären Architekturen der Arrival Cities sind längst zu Symbolen von Unsicherheit und Entwurzelung geworden. In Azimut werden sie zu Strukturen der Freiheit und Selbstermächtigung. Wo Drachen fliegen, da ist Humanität. In einem nächsten Schritt sollen aus den Drachen Rescue Kites werden. Fliegende Leuchttürme auf dem Wasser, die den Schiffen den Weg leiten. Es sind fluoreszierenden Mosaike im Wind, die sich der Politik des Nationalen entgegenstellen.