Am 16. Juni 1977 wird die 30-jährige Elisabeth Käsemann beigesetzt. Ihre Eltern teilen der Öffentlichkeit mit: „Wir haben heute unsere Tochter Elisabeth auf dem Lustnauer Friedhof bestattet. Am 11. Mai 1947 geboren, am 24. Mai 1977 von den Organen der Militärdiktatur in Buenos Aires ermordet, gab sie ihr Leben für die Freiheit und mehr Gerechtigkeit in einem von ihr geliebten Land.“ Käsemann war eines der mehr als 30.000 Opfern der argentinischen Militärjunta unter General Videla.
Das Militär hatte sich am 24. März 1976 an die Macht geputscht. Die Junta löste das rechtsgerichtete Regime von Isabel Peron ab. Die Witwe des Nazi-Sympathisanten Juan Domingo Peron hatte nach Ansicht der argentinischen Oligarchie im Kampf gegen die Linke versagt. Denn trotz der unter Peron initiierten „Alianza Anticomunista Argentina“, einer Todesschwadron aus Militärs und Geheimdienstlern, die gezielt Gewerkschafter und linke Aktivisten exekutierte, hatten die sozialen Kämpfe Mitte der Siebziger Jahre stark zugenommen. Es gab Streiks und Fabrikbesetzungen, linke Guerilla-Gruppen verfügten über eine Massenbasis. Das System drohte zu kippen. Der Staatsstreich von 1976 erfolgte unter Anleitung der CIA und mit finanzieller Unterstützung des US-amerikanischen State Department.
Elisabeth Käsemann wurde im März 1977 als Mitglied einer „oppositionellen Gruppe“ vom Militärgeheimdienst verhaftet und nach wochenlangen Folterungen am 24. Mai 1977 erschossen. Das deutsche Auswärtige Amt war über den Fall Käsemann informiert, protestierte jedoch nicht. Außenminister Genscher setzte auf „stille Diplomatie“ – es war die Stille des Todes.
Ein ausführliches Interview mit dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kalek über die juristische Verfolgung der Verbrechen der argentinischen Militärjunta; ein Blick auf die Geschichte der argentinischen Staatsstreiche von dem Schriftsteller Osvaldo Bayer; Gaby Weber über die Verschwundenen bei Mercedes Benz; Frieder Wagner über die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes – in diesem achten Band der Bibliothek des Widerstands.
Im hinteren Innendeckel dieses LAIKA-Mediabooks finden Sie wie immer eine DVD, diesmal mit zwei Filmen.
„. dass Du zwei Tage schweigst unter der Folter!“ Elisabeth Käsemann – Ein deutsches Schicksal – BRD 1991, 45 Minuten, Regie: Frieder Wagner und Osvaldo Bayer
Elisabeth Käsemann studierte am Otto-Suhr-Institut der FU Soziologie. Ende September 1968 ging sie für ein Praktikum nach Bolivien und entschied sich, in Lateinamerika zu bleiben. Seit 1971 lebte sie in Buenos Aires und arbeitete gemeinsam mit der britischen Theologiestudentin Diane Austin in einem Sozialprojekt in den Slums der Metropole. Ab 1974 studierte sie daneben noch Volkswirtschaft. In der Nacht vom 8. Auf den 9. März 1977 wurde Käsemann vom Militärgeheimdienst verhaftet.
Der Dokumentarfilm zeichnet den Weg einer Frau nach, die bis zur letzten Konsequenz ihrer inneren Stimme gefolgt ist – bis zu ihrem gewaltsamen Tod. Der Film dokumentiert zudem den vergeblichen Kampf von Elisabeth Käsemanns Eltern um Gerechtigkeit nach dem Tod ihrer Tochter. Und Frieder Wagners und Osvaldo Bayers Dokumentarfilm klagt an, indem er die Rolle der deutschen Bundesregierung beleuchtet, die beste Wirtschaftsbeziehungen zur argentinischen Militärjunta unterhielt und sich wohl auch deshalb nicht für das Leben von Elisabeth Käsemann und anderer deutscher Verhafteter eingesetzt hat.
- Veröffentlicht am Dienstag 5. Oktober 2010 von LAIKA
- ISBN: 9783942281775
- 192 Seiten
- Genre: Geschichte, Sachbücher