BilderBuch

Poesie

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In seinem lyrischen „BilderBuch“ vermisst Arnhelm Neusüss den Mikrokosmos eines individuellen Erfahrungs- und Gemütshorizonts wie den Makrokosmos der Menschenhistorie samt dem Fond ihrer Selbstdeutungen. Im unverwechselbaren Stil einer ironischen Klassizität entfaltet sich das nachsintflutliche Panorama der postmodernen Welt unserer Tage in sensiblen Versen voller Anspielungen und Assoziationen. Am besten stellt man sich das lyrische Ich, das sich hier seinen universalen Vers macht, als eine Eidechse vor, die reglos vom warmen Stein auf die nahen Sensationen der Welt wie auf fern ziehende Wolken blickt.

Anschauen und Lesen sind zweierlei – daher die Unterscheidung von Bilder- und Lesebuch. Doch lassen sich auch Bilder lesen und Worte anschauen, sogar im selben Zuge, nämlich als die zu Vokabularen geronnenen Vorstellungen von der Welt, die unseren Geist als Phantasmen durchziehen. Es ist Sache der Poesie, sie wieder zur Anschaubarkeit zu verdichten. Als Kondensationsmittel erprobt sie Metaphern. Die Welt ist zum Staunen, mit dem Staunen beginnt das Beobachten, und mit dem Beobachten das Beschreiben. Beschreibung will wahr sein, und auch die Poesie beansprucht Wahrheitsqualität, manchmal sogar monopolistisch. Andererseits fragt sich seit Plato, ob sie überhaupt wahrheitsfähig sei. Schließlich versteht sich das poetische Beschreibungsverfahren selbst nicht als objektive

Analyse der Welt, sondern als deren subjektive Imagination. In Imagination aber steckt Magie, und es scheint den Verdacht auf mangelnde Seriosität zu erhärten, dass sie bei der Suche nach Verborgenem gern die methodisch fragwürdige Wünschelrute des Reims einsetzt.

Mit ihr durchstreift der Dichter – er ist nicht mehr der Jüngste, woraus sich der materiale und reflexive Reichtum dieses Werks erklärt – den Globus und sein eigenes Leben, das äußere wie das innere. Das Rückgrat bilden zehn Reisebilder (Hellas, Trinacria, Wilder Westen, Andalusien, Ägypten, Karibik, Siam, New York, Byzanz und Toscana), um sie gruppieren sich Verwunderungen, Lob und Preis, Imaginationen und Blicke auf alte Fotografien. So spielerisch dabei aus dem tradierten Fundus lyrischer Formen geschöpft wird, so identisch in ihrer Verwendung ist der Ton. Es ist ein ganz ungewöhnlicher Ton in der gegenwärtigen Lyrikproduktion, der vor deren subtiler Hermetik in gestückelter Prosa altmodisch klingen mag. Doch spricht er gerade auch durch sein eisernes Festhalten am Reim eine breitere Leserschaft an als nur die engeren Zirkel der speziellen Lyrikrezipienten.

Die bunten Beigaben schmiegen sich lose an die Themen an und sind Fundstücke des Autors von unterwegs.

„Die Lektüre hat mir großes Vergnügen bereitet. Die Form der präzisen Verdichtung war eine gleichermaßen intellektuelle wie ästhetische Freude.“
(F. Heidenreich)