Brummlg’schichten – CDs

Der schwarze Einser /Achtung Aufnahme

von

DER SCHWARZE EINSER – (27.12. 50)

Willem Holsboer, ein humorvoller Schweizer war am Münchner Volkstheater als Darsteller und Regisseur ein derartiger Publikumsliebling geworden, daß man ihn bald zum Intendanten des Hauses an der Herzog Wilhelm Straße wählte. Sein Spielplan bevorzugte das heitere Genre, er verstand es, das Menschliche in Komödien in den Vordergrund zu stellen. Man mußte sich – um eine alte Theaterweisheit zu zitieren – nie genieren, einen Abend lang herzlich gelacht zu haben. Es war nie unter Niveau gewesen. Holsboer holte zahlreiche erstklassige münchner und bairische Schauspieler in Gastrollen an sein Theater um möglichst ideale Besetzungen zustande zu bringen. Es gelang es ihm meist, daß Darsteller und Rolle sich deckten. Er mußte nicht einen 25-jährigen Anfänger als 70-jährigen Greis zuschminken lassen. Er kriegte einen 70-jährigen und der 25-er kam in ein andermal in einer ihm gemäßen Rolle dran.
Er machte kein Startheater mit berühmten Größen vom Film, sondern eine Kollegenbühne. Die Schauspieler waren das Wichtigste. Für sie gute Komödien, aber auch ernste Stücke zu finden, das Zweitwichtigste. Seine schmaler städtischer Etat und das nicht sehr große Haus erlaubte ihm nicht, mit prunkvoller Ausstattung zu protzen. Von seinen Bühnen- und Kostümbildnern verlangte er Preiswertes, das teuer aussehen sollte. Daß man der Ausstattung stets entnehmen konnte, wo und wann eine Stück spielt, war damals selbstverständlich. Antike Römer mit Maschinengewehren waren noch nicht erfunden. Wer sowas verlangt hätte, wäre umweglos in einer beiden Klapsmühlen gelandet. In Eglfing oder in Haar.
Regie führten meiner Erinnerung nach an diesem Theater erfahrene Kollegen. Meist ebenfalls Schauspieler, selten Berufsregisseure und kein einziger Germanist mit abgebrochenem Unistudium, denn das Volkstheater war ein professionelles Unternehmen. Und Regie beileibe nicht das Wichtigste.
Das Theater wurde 1944 kaputt gebombt. Holesboer wurde in ein Ausweichquartier verlegt, in den ‘Silbersaal’ des Hotels ‘Bayerischer Hof’ am Promenadeplatz. Das Hotel war nur leicht beschädigt, der Saal konnte mit wenig Aufwand in ein richtiges Theater umgebaut werden. In diesen ersten Jahren nach dem Krieg konnte ein Intendant so ins Volle greifen wie ein Angler in einen Fischschwarm. In München waren hunderte namhafter Schauspieler gelandet, nach den NS-Verbotsjahren standen hunderte Erfolgsstücke aus England, Amerika, Frankreich und überall her zur Verfügung. Auch etliche deutsche Autoren, oft Remigranten, brachten Genußreiches mit sich. Das Staatsschauspiel begann in einem Behelfstheater mitten in der zerstörten Residenz derlei Neues und Klassiker zu spielen, wurde aber bald ausquartiert, als man nach der Währungsreform das einstige Cuvilliestheater wieder aufbaute. Volkstheater und Kammerspielen inzwisvhen fusioniert mit gemeinsamem Fundus, Verwaltung und Werkstätten hatten ihre große Zeit. Anno 1947 meldete sich Holsboer bei Olf und mir. Der Dauererfolg der Brummlfamilie hatte ihn die auf die Idee gebracht, diese zeitgemäß aktuellen Themen auf seine Bühne zu bringen und die Rundfunklieblinge auch optisch zu präsentieren. So kam es 1948 zu der Theater-Brummlg’schicht ‘Hypnose’, die es zu 43 Aufführungen brachte – die letzten nach der Währungsreform. Ab da hatte leider niemand Geld um Theaterkarten zu kaufen. Sonst hätten wir gewiß noch lange ausverkauft weitergespielt.
Nun wurde ohnehin Vieles anders. Das Hotel kündigte, es brauchte seinen ‘Festsaal’ wieder selber. Das Volkstheater war heimatlos, wurde in geringem Umfang in die Kammerspiele einbezogen, verschwand aber bald aus deren Spielplan. Aus! Holsboer war nach so vielen aufregenden, bedrängenden und gegängelten Jahren vermutlich des Kämpfens mit Behörden müde und zog sich aufs Schauspielen zurück.
Nun konnten wir ihn, den Allemannen auch einmal in der Rolle eines resoluten Schwaben im Radio-Brumml einsetzen – bei den Begebenheiten um eine berühmte Briefmarke:

DER SCHWARZE EINSER

1840 gab man in England die ersten Briefmarken heraus. Sie waren eine ebenso praktische wie zwangsläufige Erfindung, denn wenn man schon der gesamten Menschheit das Lesen und Schreiben beibrachte, damit sie über lauter Zeug informiert werden, das sie weder betrifft noch im Grunde was angeht, über das sie sich bloß ärgern oder davor sich fürchten, und weil sie ihre Ängste, Ärger, Intrigen und Liebeserklärungen nun per Brief verschicken konnten, mußten Briefmarken her, für das gigantisch wachsende Postnetz in aller Welt. Da kam man mit persönlicher Zustellung per Postkutsche und bloßem Stempeln nicht mehr durch. Vor allem auch die armen Kinder mußten alle, alle, per Schulpflicht Lesen und Schönschreiben können, was Brieffreundschaften erzeugte, für die man Marken brauchte, die aber selten hielten. Die Freundschaften. Die Marken pappten zäh an Papier und Pergament. Das kreierte eine neue Gruppierung der Menschheit: Sammler und Normale. Der erste Markenmann in London würde sich gewiß wundern, wenn er hörte, daß es 1950 in den USA 27 Millionen Sammler gab. Davon 10 Millionen methodisch vertierte. Die restlichen 17 Mio. waren zufrieden, wenn die Wapperln schön bunt mit Bild waren.
Die erste deutsche Briefmarke war schwarz und ohne Bild. Sie wurde 9 Jahre nach England 1849 ausgegeben. Und zwar in Bayern. Darum ist der nicht nur in Süddeutschland begierig gesammelte ‚Schwarze Einser‘ die erste, älteste deutsche Briefmarke. Glücklich, wer eine sein eigen nennt. Ihr Sammlerwert hat sich gewaltig gesteigert. Als es 10 Jahre nach den ersten Briefmarken auch in der übrigen Welt allmählich Marken gab, konnte, wer methodisch vorging, mit seiner kompletten Sammlung einen ganz schönen Stich machen. Marken sind wie Künstler. Fehlfarben, Fehldrucke, falsche Ränder, fehlende Zacken und all so was kann eine Marke berühmt machen. Auch bei Künstlern sind ja die größten Spinner die Berühmtesten weil sie Einzelexemplare sind, oder will jemand den van Gogh als normal bezeichnen?
In der nächsten Folge haben wir wieder mal ein bissel Zeitkritik versucht, indem wir uns eine der ebenso erfolgreichen wie geschmacklich rücksichtslosen Geldquellen vornahmen: den deutschen Heimatfilm und Jene, die ihn machten.
Wie aber kommen die Brummlleut in ein Filmatelier? Die nächste CD gibt darüber genaue Auskunft.

ACHTUNG AUFNAHME – (18.3.51)

1951 gabs wieder mehr Kinos, und sie waren meist ausverkauft. Dieser Markt wurde für Hollywood interessant. Als gute
Geschäftsleute planten sie voraus, indem sie uns neuere Filme schickten, die ihren Einfluß vorbereiteten, um bald in Europa wieder wertvolles Geld zu verdienen. Wir kriegten auch Filme zu sehen, die bei den Nazis verboten waren, weil Juden mitspielten oder Flüchtlinge aus Hitlers Einflußbereich sie gemacht hatten. Berühmte Werke, wie Disneys ersten abendfüllenden Trickfilm: ‘Schneewittchen’, von dem uns vielgereiste Ausländer vorgeschwärmt hatten. Nach der Währungsreform kam sogar der damals größte und erfolgreichste Film zu uns: ‘Vom Winde verweht’. Wir wurden verwöhnt. Unser Deutscher Film litt noch immer unter dem Aderlaß der Emigrationen. Auch wenn Käutner, Zerlett, Rabenalt und andere im 3. Reich Beachtliches drehten. Denen hatte der Propagandaminister Goebbels schlau befohlen: Keine politischen Filme. Komödien Tränenfilme, Liebesgeschichten! Das Volk soll sich im Kino amüsieren und rühren lassen. Drum spielten Zarah Leander, Marika Rökk oder wiener Komödien mit Moser und Hörbiger im besetzten Halbeuropa Riesensummen ein. Bur – Format und Weltgeltung etwa von Langs ‘Metropolis’ oder ‘Nibelungen’ gelang nie mehr, im ‘Tausendjährigen Reich’ das nach 12 Jahren hin war. Nun lernten wir in den verbotenen Filmen die Qualitätsunterschied zwischen Babelsberg und Hollywood kennen, samt für uns neuen Stars, Themen, Techniken und Macharten. Viele waren Farbfilme – für uns noch eine Seltenheit. Wir hatten in den unseligen 12 Jahren nur 4 hervorgebracht.
Jedoch – im Schlepptau des Hollyoodvorbilds kam der deutsche Film wieder auf die Beine. Die ersten waren vornehmlich Bewältigungs- und Trümmerfilmen voll Horror. Die wurden Pleiten, samt ihren gut gemeinten, knirschenden Selbstanklagen (die auch von jenen verlangt wurden, die verzweifelt unter Krieg und Verfolgung gelitten hatten). Dann aber entdeckten produzieren wollende alte deutsche Filmhasen und Jungkarnickel, daß Heimatfilme aus der Heide und Silberwälden und Deppenkomödien aus Bayern das breite Publikum erfreuten!! Dem waren Qualität und Inhalt egal. Es wollte schöne Naturaufnahmen und beliebte Komiker sehen. Gab’s Sprachprobleme ließ man manchmal Norddeutsche in Seppltracht bayrisch sprechen und spielen. Der neue deutsche Film war ja fest in Händen der norddeutschen Tiefebene.
Sowas sollte in unsere Brummlg’schicht durch den Kakao ziehen. Aber da gab’s einfach zu viele Angriffsflächen. Wir konnten nur ein paar der möglichen Glossen unterbringen. Unser Nachwuchsautor Walter Netzsch, Olf und ich einigten
uns auf zwei davon. Einmal den Filmbetrieb mit den improvisiert wurschtelnden Aufnahmeleitern, den stolzen Regiecäsaren, dem Gebrüll und Durcheinander im Atelier, die Hupe, die Ruhe gebot, der Tonaufnahme, der immer als letzter drehfertig wurde, und ganze aufgeregte Heckmeck imitierter Tüchtigkeit. Das zweite wurde das Süd-Nord Gefälle an Humor, Lebensart und Ausdrucksweise. Ein Contra dem südschwedischen Überlegenheitsdünkel („Die ollen Bajan sin alle dof un primetiv“). Freilich hat der Autor Georg Lohmeier nicht Unrecht wenn er sagt: „Wir geben ja koa Ruah, eh net der letzte Neger im Afrika hint woaß, die größten Deppen auf dem Erdball san mir!“. Weil es die Fremden gar nichts angeht, wie wir eigentlich sind, kaspern wir ihnen Deppen vor. Das fördert den Fremdenverkehr, wenn sie dieses ihnen zutiefst unverständliche Volk als blöde klassifizieren. Akustisch und inhaltlich können sie uns nicht verstehen, weil wir seit über tausend Jahren oberdeutsch sprechen, eine einst reiche, zählebige Sprache, die ganz anders ist, als ihr niederdeutsch. Das Hochdeutsch, auf das sie so stolz sind, weil sie es für vornehm halten, wurde erst um 1770 eingeführt. Weil die
Deutsche einander nicht ohne Dolmetscher verständigen konnten beschlossen die Regierenden, von den deutschen Mundarten (wie Plattdeutsch, Holländisch, Schwyzerdütsch und die nordischen Sprachen) das Meißnische, das als das zierlichste Deutsch galt verbindlich auszuwählen. Quasi als ’Esperanto der deutschen Stämme’. Bajuwaren und Allemannen machten nicht mit. Preußen, vor allem sein Militär, machte es zu einer Art gebellter Stummelsprache. Geschäftsleute, Höhergestellte und auch der Alltag mußte nun, weil die gültigen Ausdrücke jedes Stammes wegfielen, alles durch umständliche Umschreibungen wortreich kompensieren. So entstand das bekannte norddeutsche Gelaber. Weil Nördlinge genetisch einen Hang zu ausführlicher Mitteilung haben, sprechen die stets ihren ganze Denkvorgang mit. Der Bayer hingegen gibt nur das Ergebnis bekannt.
Weil sich auch norddeutsche Schauspieler über die falsche Volkstümelei lustig machten, sagten mir zwei norddeutsche Stars von damals sofort zu. Erik Ode der geschätzter Regisseur bei Bühne und Film und ein bekannter Darsteller ernster und heiterer Rollen, der später als erster ‚Kommissar‘ der Fernsehserie berühmt wurde – als Vorläufer von Derrick Horst Tappert. Ode parodierte den Aufnahmeleiter Knalle. Der zweite Star war Axel von Ambesser, bekannt und beliebt als Darsteller, Regisseur, Autor und amüsanter gescheiter Unterhalter. Er glossierte mit humorvollem Ingrimm den Platzhirschen im Filmatelier, einen Filmregisseur.
Film war damals noch eine ferne Traumwelt. Einen Darsteller leibhaftig zu sehen eine Rarität, Es gab so wenige. Gingen, oder drehten sie irgendwo außerhalb der Ateliers auf einer Straße, gab es sofort einen Menschenauflauf. Heute schaut kein Aas mehr beim Drehen zu. Die meisten Schauspieler kennt oder erkennt man gar nicht. Es sind so viele im Fernsehen, und viele sehen einander auch noch ähnlich. Angesichts der Schauspielerinflation klagte der Mime und Regisseur Fritz Kortner ironisch: „Wir können kein Dienstmädchen kriegen – die sind jetzt alle beim Film“.
Nun waren sogar bayerische Darsteller gefragt, obwohl andre deutsche Stämme zwar die weißblaue Landschaft und die Trachten und das Oktoberfest und die Gaudi mögen, nicht aber die Einheimischen stören.

Die ‘Geiselgasteiger Romanze’ beendete 1952 meine Brumml-Serie. Warum? Weil die Deutschen Sender in ein leicht hektisches personelles Durcheinander gerieten, als sie das Fernsehen vorbereiten mußten. Ich wurde vom Hörfunk weg versetzt, und mit der Leitung der neuen Fernsehunterhaltung betraut. Beim Versuchsbetrieb und im neuen Studio in Freimann fand ich eine ganze Reihe Funkkollegen vor. Uns alle nahm die neue Aufgabe so gefangen, daß für die Brummls keine Zeit mehr blieb. Eigentlich schade, daß nie ein wirklicher Film mit ihnen gedreht wurde. So gibt’s leider kein optisches Dokument vom Brumml Ensemble, das jahrelang so vielen Leuten nur akustisch Spaß machen konnte. Die hätten Sie sehen sollen – ! Da war‘s eine doppelte Gaudi – und so wollen wir auch die Veröffentlichung auf CD beschließen. – Es gibt zwar noch zwei Einzelsendungen von 1954 und 55, aber die sind bereits mit neuen Figuren und Besetzungen vermischt. Ich hatte die Leitung meinem Freund Olf Fischer übereignet, der das Ganze erweitern und zur ‚Pension Fortuna‘ aufmöbeln wollte. Bald stöhnten er und die Darsteller über zu viele andere Verpflichtungen und Termine. Der Entschluß wurde in alle Stille gefaßt: ”Die Reihe wird nach 5 Jahren endgültig eingestellt. Es ist genug”. 5 Jahre lang, hat sie vielen Zuhörern Freude gemacht. Ich hoffe, Ihnen nach über 50 Jahren auch noch.