„Die ‚lebendige Gestalt Conrad Ferdinand Meyers‘ zeichnen, hiesse doch wohl aufzeigen, was an ihm zeitbedingt und vergänglich und was den Wechsel der Zeit lebendig überdauert hat, wie es etwa Max Nussberger in seinem C.F. Meyer-Buch unternommen hat. Darauf tritt Albert Steffen hier jedoch nicht ein. Die Rede, die er am 11. Oktober 1925 zur Feier von C.F.Meyers hundertstem Geburtstag in Kilchberg gehalten hat, ist gar nicht kritisch gestimmt. Sie ruft die ganze Gestalt vor uns als lebendig auf. Steffen umreißt aus eigenen Aussagen Meyers und treffend ausgewählten biographischen Stellen ein Lebensbild, das das Drangvolle und Zwiespältige, das Hintergründige und das dämonisch Unfaßbare im Wesen des großen Zürcher Dichters liebevoll umfaßt und zu deuten sucht.
Eigenstes Gut des Vortragenden ist wohl der Abschnitt über den „Wortmenschen“ in C.F.Meyer, wie er einerseits von einem plastischen (Rom), anderseits von einem musikalisch-symphonischen Urerlebnis (die Schweizer Berge) entscheidend bestimmt wird. Steffen spricht es aus, daß wir, um einen Dichter in seinem Innersten zu erfassen, nicht nur seine Weltanschauung oder seine Religion, sondern auch seinen Stil untersuchen müssen. Er analysiert sehr fein die Eigentümlichkeiten von C.F.Meyers Sprachkunst. Nicht nur zwischen den Worten, sondern sogar zwischen den Lauten ist bei C.F.Meyer ein beseelter Raum. In seiner Sprache sind Wölbung und Weite – aber ’nicht die Höhe des Himmels, sondern die einer Halle oder eines Domes, jedoch nicht eines gotischen, sondern eines romanischen. Die Architektur ist groß und einfach. Nirgends ein Mauerzierwerk da‘.“ (E.K. in „Der Bund“, Bern, 21.Oktober 1937, Abendausgabe).
- Veröffentlicht am Dienstag 21. Dezember 1965 von Schöne Wissenschaften
- ISBN: 9783858890719
- 39 Seiten
- Genre: Belletristik, Essays, Feuilleton, Interviews, Literaturkritik