Dämonie des Biedermeier – Nikolaus Lenaus Lebenstragödie

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Das vorige Jahrhundert hat um ihn, den am 13. August 1802 Geborenen, die düsteren Schleier der Melancholie gehängt. Teils aus sentimentalem Missverstehen, teils um die elementare Wucht seines Freiheitsdranges zu bemänteln, sie ins Lyrisch-Private umzudeuteln. Dabei war keiner der großen österreichischen Klassiker derart radikal bemüht, die Fesseln und Zwänge von Ideologien abzuschütteln wie gerade er. Ein elegischer Revolutionär, der seinen spontan aufbrechenden Gefühlen im ersten Anlauf nachgab, um sie sodann durch ausufernde Studien abzusichern, gelegentlich auch zu revidieren. Ein unsicherer Kantonist, ein schlechter Parteigänger, aber ein bewegter, die Mitwelt und noch die Nachwelt bewegender Geist von europäischen Ausmaßen. Sein in den Epen öffentlich ausgetragener Kampf um eine gereinigte christliche Lehre bringt die „Albigenser“ schließlich auf den Index, nachdem sein „Savonarola“ zuvor schon die Dichter des Jungen Deutschland vergrämt hatte. Denn die begrüßten ihn und seine „Polenlieder“ zunächst als einen der Ihren. Doch er war alles andere als ein Parteigänger, vielmehr ein nervös witternder Geist, empfänglich für jedwede Schwankung der öffentlichen Meinung, dennoch aber an seinen Überzeugungen unbeugsam festhaltend. Aus Amerika, wohin er gesegelt war, um die frische Brise der Freiheit zu atmen, kehrt er enttäuscht und voll Abscheu vor der Ausmordung und Vertreibung der Indianer nach Schwaben, das er seine zweite Heimat nennt, und sodann nach Österreich zurück. Vor dem menschenverachtenden Liberalismus, dessen Auswirkungen er in Übersee kennen lernt, vergräbt er sich jahrelang in Hegel, debattiert mit Franz von Baader, Ferdinand von Freiligrath, Friedrich Rückert, David Friedrich Strauß und Ludwig Uhland. Karl Eberhard von Schelling, der Bruder von Hegels großem Gegenspieler, behandelt ihn nach seinem paralytischen Zusammenbruch in Stuttgart. Mit Justinus Kerner befreundet und mit Anastasius Grün, mit Gustav Schwab, Eduard von Bauernfeld und Moritz von Schwind, stirbt er 1850 in der Heilanstalt für Kopfverletzte in Wien-Oberdöbling.