Das Geschichtsdenken Voltaires im »Essai sur les moeurs«

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Die langjährige Auseinandersetzung Voltaires mit der Geschichte erreicht in seinem »Essai sur les moeurs et l’esprit des nations« von 1756 ihre volle kulturelle und philosophische Breite. Das Werk vereint in bemerkenswerter Weise gleich mehrere Wegpunkte und Reflexionsebenen des geschichtlichen Denkens in der Aufklärung.
Die zeittypische Überlieferungskritik und die Formulierung neuer Ansprüche an eine wissenschaftlich begründete Historiographie verbindet Voltaire mit einem radikalen Angriff auf die christliche Welt- und Geschichtsdeutung; v.a. in jener Form, wie sie seinerzeit nochmals durch Jacques-Bénigne Bossuets »Discours surl’histoire universelle« (1681) geltend gemacht wurde. Gleichzeitig sucht er im Fortgang des menschlichen »Geistes« und der »Sitten« die Leitfäden einer neuen ›großen Erzählung‹: einer globalen Universalgeschichte, die dem wachsenden sozial- und kulturgeschichtlichen Interesse der Epoche Rechnung trägt.
In seinem Bemühen um eine Vergewisserung der historischen Welt als einer vernünftigen und sinnhaften Ordnung vollzieht der Essai schließlich auch den Schritt zu den Anfängen einer fortschrittsorientierten Geschichtsperspektive.