Das Gesellschaftsbild der LohnarbeiterInnen

Soziologische Untersuchungen in ost- und westdeutschen Industriebetrieben

Welche subjektiven Wahrnehmungen und Verarbeitungsstrategien der ökonomischen und sozialen Krisenprozesse sind aufzufinden? Wie nehmen die Beschäftigten ‚ihren‘ Betrieb im Unterschied zur umgebenden Gesellschaft wahr? Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Stammbelegschaften und Leiharbeitenden? Warum artikuliert sich in Deutschland kaum organisierter Protest?

ForscherInnen des Instituts für Soziologie der Universität Jena haben in den letzten Jahren umfangreiche Befragungen von Beschäftigten in ost- und westdeutschen Industriebetrieben durchgeführt. Ihr Befund: Betriebs- und Gesellschaftsbewusstsein fallen auseinander – Folge von drei Jahrzehnten mehr oder minder erfolgreicher Standortpolitik.

Wer die Bewährungsproben der Standortkonkurrenzen zu bestehen hat, dem fällt es schwer, das Gesellschaftsbild des ‚Oben‘ und ‚Unten‘ auf die betriebliche Leistungsgemeinschaft zu beziehen. Bei der Entwicklung von Handlungsstrategien schlägt so der ‚gute‘, halbwegs sichere Betrieb die ’schlechte‘, weil ungerechte Gesellschaft.

Daraus erklärt sich die große Unterstützung des Krisenmanagements der deutschen Industriegewerkschaften. Wird gleichzeitig Kapitalismuskritik still gestellt, muss die ungerechte Gesellschaft als Ansammlung von Sachzwängen erscheinen. Ein negativer Wettbewerbs-Individualismus, der allein darauf zielt, Bewährungsproben erfolgreich zu bestehen, ist jedoch ein Sprengsatz für jede Organisation und jeden Politikansatz, der auf die Artikulation von Kollektivinteressen angewiesen ist.