Das Problem des österreichischen Menschen

Rede

von ,

[Mit diesem Vortrag wandte sich am 22. März 1967, anlässlich der 14. Historikertagung in St. Pölten, Univ.Prof. Dr. Alphons Lhotsky als Vorsitzender des Institutes für Österreichkunde zum letzten Male öffentlich an seine Mitglieder.]

Ich sehe nicht ein, warum wir, deren Beruf ein unentbehrliches Requisit aller Zivilisation ist und jedenfalls wenigstens noch eine Weile bleiben wird, das Wort Schillers an die Künstler – Sie kennen es ja – »der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben« nicht auf unseren Staat, auf unser ureigenstes Anliegen anwenden sollen. Von der Wissenschaft haben Sie nichts oder nur sehr wenig zu hoffen. Die wird fortfahren, so wie ein Schweizer Historiker vor etwa dreißig Jahren anlässlich des hundertsten Jubelfestes der geschichtsforschenden Gesellschaft es in etwas drastischer, aber ganz richtiger Weise aussprach: »Sie wird fortfahren, an ihren eigenen Exkrementen zu ersticken.« Oder, um ein Wort des Goetheschen Faust zu gebrauchen: »Sie wird froh sein, wenn sie Regenwürmer findet«. Sie müssen sich selber helfen, ich weiß nichts Besseres.
Den österreichischen Menschen der Vergangenheit wiederherstellen zu wollen, wäre albern. Das machen, was wirklich in unserer Macht liegt, ist die Erweckung der Achtung vor dem Gewesenen, die Herstellung des seelischen Kontaktes mit ihm, die verständnisvolle Würdigung der österreichischen Leistung, nicht nur für unser Gemeinwesen, sondern für Europa, man kann ruhig sagen, für die ganze Welt.