Das wird ein Fest

von

Karl Wenig sitzt in tiefer Nacht auf seinem Balkon und ist der einzige Augenzeuge, als ein junger Mann in Flip-Flops die Straße heruntergelaufen kommt, ‚Ich bin ein Roman‘ ruft, die Arme zum Himmel hebt und in sich zusammenfällt. Unter ‚Verschiedenes‘ ist zwei Tage später in der Zeitung zu lesen, der junge Mann habe Roman geheißen und sei auf der Stelle tot gewesen. Unmittelbar daneben berichtet eine Meldung von Viganella, dem dunkelsten Dorf Italiens, dem mit Hilfe eines auf dem Berg montierten Spiegels die Sonne ins Tal heruntergeholt werden soll.Karl Wenig bestellt die unzuverlässige Zeitung ab und beschließt, den Mann, der just unter seinem Balkon so einsam ’seinen Punkt gesetzt hat‘, ins rechte Licht zu rücken und seine Geschichte zu erzählen: ‚B.u.E., Berichtigungen und Ergänzungen.‘ Karl Wenig hat in einem kommunalen Archiv gearbeitet, bevor er und seine Kollegen wegrationalisiert wurden; so kennt er sich aus mit dem Archivieren von Lebensgeschichten, mit Abstempelungen und Abkürzungen. K.W. soll der Junge heißen, d.h. ‚Keine Wiedervorlage‘ und ‚Kein Weinen, knappe Worte, kleiner Wahn, kaum wirklich.‘ Entschlossen verbarrikadiert sich Karl Wenig in seiner verwahrlosenden Wohnung, die seit kurzem auch von seiner Frau Rose verlassen ist, um dem jungen Mann ein Leben zu erschreiben. Im lichtlosen Dorf Viganella erzählt eine junge schöne Frau, kurz bevor sie das Dorf für immer verläßt, ihrem Sohn von Carlo, dem fabelhaften Kellner. Auch der Sohn macht sich auf, um sein Glück zu suchen; er landet in einer großen Stadt, wo sich in der Meldebehörde eine Frau seiner annimmt und ihm mit seiner Identität hilft – die sich plötzlich eigentümlich mit derjenigen Karl Wenigs verschränkt. Der Spiegel von Viganella wirft derweil Sonnenrechtecke in ein fast verlassenes Dorf. Kerstin Kempker erzählt virtuos, den feinsten Verästelungen der Sprache nachgehend davon, wie ein Leben verloren geht – und daß es manchmal nur die richtige Geschichte braucht, um es wiederzufinden.