Jeder kennt sie, die drei Richtung weisenden Versepen der abendländischen Literaturgeschichte: Homers Ilias, Vergils Äneis und Dantes Göttliche Komödie. Wer aber liest sie heute noch, wenn er sie nicht – universitäts- oder gymnasiumsgedrungen – lesen muss? Manche Szenen – wie die Leichenschleiferei Achills rund um Trojas Mauern oder das fahren lassen aller Hoffnungen beim Eintritt in Dantes Inferno – sind fester Bestandteil unseres literarischen Bezugsuniversums, doch die Lektüre ist mühsam, und was in Erinnerung bleibt, sind oft nichts als ein paar Karikaturen. Der Autor hat aus dieser Not eine Untugend gemacht, die drei Epen noch einmal sorgfältig gelesen und sie dann auf ungewöhnliche Art karikiert: in dreitausend Schüttelverszeilen, womit er seinen eigenen Weltrekord („Edam und Ava“ mit 1200 Zeilen) deutlich übertrifft, auf dass die drei Epen von einigen Leuten freiwillig gelesen werden mögen.
Und träum’ davon, dass Leser mich dafür durch ihr Gelächter ehren.
Dabei muss – wie schon in „Edam und Ava“ – nicht andauernd geblödelt werden. So heißt es über den großen Helden Achill:
Perverse Pläne tun in seinem kranken Herz verschlossen reifen:
Er lässt des Hektors Leichnam durch den Staub von wilden Rossen schleifen.
Ich sagte schon, dass man Achilleus ehrt, das seh’ ich ein schwer.
Es ist ein ganz verworf’ner Typ, ein ganz brutales Schwein er.
Auch Vergil und sein Geschöpf Äneas treten uns als höchst ambivalente Figuren entgegen:
Aus Freunden und Familie, im Ganzen ganz famose Leute.
Gewann das Schiff, verlor die Frau. Was soll’s? Man sing’ dem Weib Lieder.
Es kriegt in Dido der Äneas ja was für den Leib wieder.
Vergil (selbst schwul) befasst sich nicht mit derart lauen Fragen,
denn seine Interessen offensichtlich nie an Frauen lagen.
In Andante Alighieri, der geschüttelten Version der Göttlichen Komödie, gibt es ein recht nachdenkliches Gespräch über den sogenannten Limbus, jene von Dante ersonnene „Vorhölle“, in der alle vor Christi Erlösungstod Verblichenen ewig schmachten müssen:
Wir stückten früh. Er sagte: Auf nun in die finst’re Limbusnacht.
Kein Heiliger ist dort, der milde unter seinem Nimbus lacht.
Vielmehr sind’s Frühgeburten, die nie Böses taten, am Bösen litten.
Und dennoch würden sie vergeblich Jesus ums Erlösen bitten.
Der größte Christenschuft kann sich von Sünden durch die Beicht’ entleeren,
selbst knapp vorm Tod. Doch die gerechten Heiden kann Gott leicht entbehren.
Die Dreierkombination Ilias, Äneis, Divina Commedia ist natürlich mit Bedacht gewählt. Nicht nur, weil man die Äneis als Fortsetzung der Ilias und die Divina Commedia als Fortsetzung der Äneis ansehen kann, sondern, weil in diesen drei Epen die Entstehung der abendländischen Identität anklingt: mit ihren beiden Basiselementen Hellas und Christentum. Die erstaunliche Leistung des Autors besteht darin, in Schüttelreimen derart lange und komplexe Geschichten zu erzählen, wo doch das Reime Schütteln – wie unzählige Publikationen zeigen – üblicherweise nie über zwei bis vier Zeilen hinausgeht.
Am Ende deklariert sich der Erzähler – wobei er augenzwinkernd gegen eine eherne Grundregel der Literaturkritik verstößt – auch als Autor:
Ich bin Erzähler, Schüttler. ‘S zeig als Worterheischer Fleiß ich,
und ich gesteh’s: nicht Kantendübel, sondern Fleischer heiß ich.
Stirb ich, will ich Olymp-wärts, mit Dionysos und Hermes leben
Und mich hinweg von aller Unbill dieses Erdenlärmes heben.
Doch denk’ ich – tu den Geist mit Wein jetzt freudedurstig heben, laben,
dass wir nur dieses eine, ach so kurze Erdenleben haben.